Anubis 02 - Horus
revanchierte sich aber prompt mit einem peitschenden Schlag seines nahezu mannslangen, geschuppten Schwanzes. Bast keuchte vor Schmerz, als der gezackte Knochenkamm an einer Seite ihr Bein aufriss, trat dennoch gleichzeitig mit dem anderen Fuß zu und schaffte es tatsächlich, die gigantische Kreatur zu erschüttern. Nicht wirklich, nicht, dass sie ihr auch nur wehgetan hätte, aber immerhin verfehlte ihr blitzschneller Tatzenhieb sein Ziel und riss nur den Stein neben ihrer Schulter auf, statt ihr Gesicht bis auf die Schädelknochen zu zerfetzen. Unverzüglich versuchte sie aufzuspringen, aber das verletzte Bein gab unter ihrem Gewicht nach, und sie fiel ein zweites Mal auf den Rücken; diesmal so schwer, dass ihr die Luft aus den Lungen gepresst wurde und für einen Moment alle Kraft aus ihren Gliedern wich.
Auch jetzt gelang es den wogenden schwarzen Schleiern vor ihren Augen nicht, ihr Bewusstsein zu verschlingen, doch sie zurückzudrängen, kostete sie wertvolle Zeit, und als es ihr endlich gelungen war, war es zu spät. Der Nildrache war herumgefahren und stürzte sich zischend auf sie. Ein gewaltiges Maul, gespickt mit Zähnen so lang wie ihre Daumen, aber doppelt so dick und spitz wie Dolche, stieß auf ihr Gesicht herab. Bast konnte seinen Atem riechen, heiß und nach Verwesung und den seit langer Zeit toten Dingen stinkend, von denen er sich hier unten ernähren musste, warf sich herum und versuchte seinen Schädel zu packen wie den Kopf eines wütenden Hundes, der nach ihrer Kehle schnappte, und etwas in ihr lachte bei dem bloßen Gedanken hysterisch auf. Sie kämpfte nicht mit einem Hund, sondern mit einem leibhaftigen Drachen. Nicht einmal ihre Kräfte waren denen des Ungeheuers gewachsen.
Aber der grelle, alles auslöschende Schmerz, den sie erwartete, kam nicht. Der Schädel des schuppigen Ungeheuers senkte sich weiter, ohne ihre verzweifelten Anstrengungen auch nur zur Kenntnis zu nehmen, doch statt zuzuschnappen und damit alles zu beenden, erstarrte der Drache plötzlich.
Dann, so schnell und konsequent, wie er sie niedergeworfen hatte, glitt er zurück.
Bast rang keuchend nach Atem, was ihr im allerersten Moment nicht einmal wirklich gelingen wollte. Das pure Gewicht des Ungeheuers hatte ihr mindestens zwei oder drei Rippen gebrochen, und sie schmeckte ihr eigenes Blut, das aus ihrer Kehle nach oben stieg, während sie würgend nach Luft rang. Trotzdem stemmte sie sich auf die Ellbogen hoch und kroch rücklings weit genug davon, um wenigstens die Illusion von Sicherheit zu haben – was genauso lächerlich war wie ihr Versuch, den Drachen im Ringkampf zu besiegen. Aber das Ungeheuer machte keine Anstalten, sie zu verfolgen. Es saß einfach da, ein geschuppter Gigant in Schwarz und Grün, mehr als zehn Fuß lang und mindestens so schwer wie fünf ausgewachsene Männer, und starrte sie aus seinen kalten Echsenaugen an, in denen sie nichts anderes las als Gier und berechnende, reptilienhafte Intelligenz. Sie konnte den Hunger spüren, der in den Eingeweiden des Drachen wühlte, seine unbeschreibliche Wut und die noch viel gewaltigere Enttäuschung, um die Beute, die er schon so sicher geglaubt hatte, im letzten Moment betrogen worden zu sein. Er wollte sich auf sie stürzen, mit jeder Faser seines gewaltigen Drachenleibs, aber irgendetwas hielt ihn zurück.
Bast zwang ihren Blick, das gepanzerte Ungeheuer loszulassen und die Schatten dahinter abzutasten. Selbst jetzt, wo sie wusste, wonach sie zu suchen hatte, fiel es ihr schwer, die Gestalt wirklich zu erkennen. Sie schien wie aus dem Nichts aufzutauchen; als hätte sie selbst nicht mehr Substanz als die dunstige Schwärze, die den Tunnel erfüllte, der Schatten eines Schattens, der sich dem Blick nur widerwillig preisgab.
Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass sein Gesicht ebenso schwarz war wie das ihre und er auch Kleidung in der gleichen Farbe trug. Bast fragte sich, ob er sich bisher versteckt hatte, oder vielleicht die ganze Zeit über da gewesen war und sie ihn einfach nicht gesehen hatte.
»Sobek.«
Die Gestalt antwortete nicht, aber nur einen Moment später hörte sie ein schleifendes Rascheln, und dann sagte eine andere Stimme: »Immerhin erkennst du uns noch. Offen gestanden ist das schon fast mehr, als ich zu hoffen gewagt habe.«
Seltsamerweise schien die Stimme von oben zu kommen, nicht aus Richtung der schattenhaften Gestalt, und auch nicht hinter ihr. Bast blickte auf und verspürte einen neuen, heftigen Schwall von
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