Anubis - Roman
er mit einem angedeuteten Achselzucken fort: »Studienkollegen.«
»An der Universität, nehme ich an«, sagte Miss Preussler.
Graves warf ihr im Gehen einen unverhohlen verächtlichen Blick über die Schulter hinweg zu, den Miss Preussler so wenig übersah, wie er ihre Worte überhört hatte. Von seiner ungewohnten Sanftmütigkeit und Ruhe war nichts mehr geblieben. Der Moment, in dem sie in der Höhle gestanden und dem faszinierenden Tanz der Sternbilder zugesehen hatten, hatte sie beide für einen kurzen Augenblick verändert; vielleicht hatte er sowohl in Mogens als auch in Graves etwas geweckt, was bisher sogar von ihnen selbst unerkannt geschlummert hatte. Aber nun war er vorbei, und sie fielen beide wieder in ihre gewohnten Verhaltensmuster zurück. Seltsamerweise beruhigte dieser Gedanke Mogens eher, statt ihn zu stören.
»Lassen Sie mich raten, Professor«, fuhr Miss Preussler fort. Sie hatte natürlich genau wie er bemerkt, wie sinnlos es war, zu flüstern, und dass Graves ihre Worte trotzdem hörte, ja, wie es aussah, sogar konzentriert darauf lauschte. Es schien sie jedoch nicht zu stören, denn sie sprach in ganz normalen Tonfall und Lautstärke weiter. Jetzt schien die sonderbare Akustik dieses Gangs ihre Worte jedoch eher zu dämpfen. »Es hat mit dieser Frau zu tun, von der Sie mir erzählt haben.«
Graves beließ es jetzt nicht mehr bei einem schrägen Blick über die Schulter zurück, sondern drehte mit einem Ruck Kopf und Oberkörper, sodass sein Scheinwerferstrahl für einen Moment einen wütenden Tanz über Wände, Decke und Boden vor ihm aufführte, und funkelte Mogens fast hasserfüllt an, enthielt sich aber auch jetzt jeden Kommentars und wandte sich nach einer weiteren Sekunde wieder um.
»Janice, ja«, antwortete Mogens leise. »Aber nicht so, wie Sie vielleicht meinen, Miss Preussler.«
Er hatte nicht mit diesem Tiefschlag gerechnet, aber sie verzichtete darauf, nachzuhaken, wofür ihr Mogens im Stillen sehr dankbar war, und so fuhr er – obwohl er es eigentlich gar nicht vorgehabt hatte – fort: »Es war eine schreckliche Geschichte. Ich möchte nicht darüber reden, nur so viel: Sie istdamals ums Leben gekommen. Durch meine Schuld. Allein meine Schuld.«
Er musste sie nicht einmal ansehen, um zu spüren, wie wenig sie ihm diese Version glaubte. Miss Preussler war weder dumm noch unsensibel; beide Attribute hatte er im Zusammenhang mit ihr in Gedanken – und nicht nur da – in den letzten Jahren großzügig und oft verwendet, aber ihm war längst klar geworden, wie bitter Unrecht er ihr damit getan hatte. Sie war weder das eine noch das andere. Ganz im Gegenteil. Wenn auch auf eine Art, zu der er erst jetzt ganz allmählich Zugang fand, und innerhalb der festen Regeln einer kleinen, scharf umrissenen Welt, war sie doch im Grunde eine sehr kluge und äußerst warmherzige Person, selbst wenn sie von einer Sekunde auf die andere zur Furie werden konnte.
»Falls wir diese Nacht überleben, Professor«, sagte sie, »dann müssen wir beide uns unterhalten.«
»Woran ich immer größere Zweifel habe«, fügte Graves gehässig und in einer Lautstärke, die eingedenk seiner eigenen Worte geradezu absurd schien, hinzu. »Ich verderbe euch beiden Turteltäubchen ja nur ungern den Moment eurer großen Versöhnung, aber ich würde euch dennoch dringend bitten, jetzt endlich die Klappe zu halten! «
Die letzten Worte hatte er beinahe geschrien. Miss Preussler blinzelte nur und sah ihn konzentriert an. Sie sagte nichts mehr, was nach Mogens’ Einschätzung aber weniger an Graves’ scharfem Ton lag als vielmehr daran, dass sie es für einfach unter ihrer Würde hielt, auf ein derartiges Benehmen überhaupt zu reagieren, während Mogens ein erschrockenes Gesicht machte und für einen Sekundenbruchteil innehielt. Graves nickte zufrieden, machte ein grimmiges Gesicht und setzte seinen Weg mit stampfenden Schritten fort.
Seine Zufriedenheit war jedoch fehl am Platze; auch Mogens’ Reaktion war keineswegs darauf zurückzuführen, dass er ihn eingeschüchtert hätte – das konnte er schon lange nicht mehr –, vielmehr hatte er am Rande seines Scheinwerferstrahles für einen kurzen Moment etwas aufblitzen sehen. Janicewar natürlich nur für ihn wirklich zu sehen, und sie war auch nicht wirklich da – zum allerersten Mal war er sich dieses Umstandes vollkommen bewusst –, aber er wusste zugleich auch, dass sie irgendwo in den Schatten dort vorne auf ihn wartete. Und – und auch
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