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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Lichter allein bedeuteten nichts, gar nichts.
    »Tom!« Graves’ Stimme drang so warnungslos in seine Gedanken, dass er erschrocken zusammenzuckte und sich alarmiert umsah. Sie hatten den Hieroglyphengang erreicht und schon beinahe zur Gänze durchschritten, ohne dass er es wirklich zur Kenntnis genommen hätte. Jetzt war Graves stehen geblieben und hatte den Arm ausgestreckt. Das Licht der Grubenlampe, die er in der anderen Hand hielt, verlor sich in der Schwärze des Gangs vor ihnen, aber Mogens war nervös genug, um eine Bewegung darin zu gewahren, die es nicht gab.
    »Bring mir das Gewehr!«, verlangte Graves. Tom beeilte sich, an Mogens vorbeizukommen und die Waffe hinüberzureichen, und Graves fügte in Mogens’ Richtung und in wenig überzeugendem Ton hinzu: »Eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
    Er nahm das Gewehr entgegen, klemmte es sich mit einer Bewegung, die eine beunruhigende Routine in solcherlei Dingen verriet, unter den Arm und fuhr fort: »Vielleicht wäre es trotzdem besser, wenn du ein Stück zurückbleiben würdest. Um ein wenig auf Miss Preussler aufzupassen.«
    Seine Worte klangen nicht besonders überzeugend, fand Mogens. Wenn es sich wirklich um eine reine Vorsichtsmaßnahme handelte, warum wirkte Graves dann plötzlich so nervös?
    Er ging nicht zu Miss Preussler zurück, sondern wartete, bis sie zu ihm aufgeschlossen hatte, und wollte weitergehen, doch Graves wedelte noch einmal mit der Hand und sagte: »Bitte entzündet die Lampen. Wir sind jetzt gleich da.«
    Miss Preussler gehorchte sofort, und auch Mogens versuchte es, aber er stellte sich dabei so ungeschickt an, dass Tom es schließlich aufgab und zurückkam, um ihm zu helfen. Das fast unmerkliche Zischen der Grubenlampen vereinigte sich zu einem hellen Wispern, das von den verzierten Wänden aufgenommen wurde und uralte, verbotene Geschichten erzählte, auf die irgendetwas aus der Dunkelheit heraus zu antworten schien.
    »Danke«, sagte Mogens, als Tom ihm die Lampe reichte. Tom nickte wortlos und schickte eines seiner üblichen, jungenhaften Lächeln hinterher, aber Mogens meinte trotzdem, eine gewisse Anspannung in ihm zu fühlen und einen Ernst, den er zuvor nur ein einziges Mal an ihm bemerkt hatte: damals, als er vom Tod seiner Eltern berichtete.
    Tom hielt ihm auch das zweite Gewehr hin, aber Mogens schüttelte fast erschrocken den Kopf und konnte sich gerade noch beherrschen, nicht ein Stück zurückzuweichen. Er verabscheute Waffen noch immer genauso wie vor zehn Minuten, und darüber hinaus war er sicher, dass der Junge mit dem Gewehr deutlich besser umgehen konnte als er.
    »Wie Sie meinen, Professor«, sagte Tom achselzuckend. »Bleiben Sie einfach hinter mir. Ich passe schon auf Sie auf.«
    »Sollen wir jetzt ein paar Schritte zurückbleiben, oder dicht hinter Ihnen?«, fragte Miss Preussler stirnrunzelnd, nachdem sie sich herumgedreht hatte und wieder an Graves’ Seite getreten war. Graves schoss einen ärgerlichen Blick über die Schulter in ihre Richtung zurück, zuckte knapp mit den Achseln und ging dann weiter.
    Sie waren nicht mehr allzu weit vom Ende des Gangs entfernt. Das vereinigte Licht ihrer Lampen fiel bereits auf die Schutthalde und verlor sich in der Schwärze der Tempelkammer dahinter. Mogens wartete darauf, dass der Anblick Erinnerungen an die zurückliegende Nacht weckte, doch alles, was er spürte, war eine stärker werdende Furcht. Er erinnerte sich immer noch nicht, was er hinter dem offen stehenden Tor gesehen hatte – nur, dass es durch und durch grässlich gewesen war.
    Unbeschadet ihrer eigenen Worte ging Miss Preussler etwas langsamer, sodass der Abstand zwischen Graves und ihnen wieder größer wurde, und als sie weitersprach, wusste Mogens auch, warum. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, was allerdings nicht viel nutzte; die verzierten Wände fingen jeden Laut auf und warfen ihn zischelnd verstärkt und verzerrt zurück: die Stimme der bösen Hexe aus dem Märchen, die die Kinder in die offen stehende Tür des Backofens lockt.
    »Wie konnte ein so netter junger Mann wie Sie nur an jemanden wie Doktor Graves geraten?«, fragte sie.
    »Wir waren einmal …«, begann Mogens ganz automatisch, brach aber dann ab und schwieg einen Moment nachdenklich. Um ein Haar hätte er »Freunde« gesagt, aber das Wort wollte ihm einfach nicht über die Lippen, und das lag nicht nur an den vergangenen neun Jahren. Miss Preussler sah ihn fragend und auf eine ganz besondere Art an, und schließlich fuhr

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