Anubis - Roman
vorwurfsvollen Blick, dann drehte sie sich mit einem Ruck herum und ging zu Tom hin, der in einigen Schritten Abstand stehen geblieben war.
Graves sah ihr kopfschüttelnd nach, mit einem Male aber gar nicht mehr zornig oder arrogant, wie es Mogens schien, sondern fast sanft, dann hob er seine Lampe und drehte sich gleichzeitig herum.
»Komm, Mogens«, sagte er. »Gehen wir ein Stück voraus. Ich glaube, Miss Preussler möchte im Moment allein sein. Keine Sorge – sie ist bei Tom in guten Händen.«
Mogens zögerte zwar, sah aber dann ein, dass Graves vermutlich Recht hatte. Er hatte Miss Preussler niemals zuvor so erschüttert gesehen; nicht einmal am Morgen, nachdem der Sheriff sie zurückgebracht hatte.
Schweigend schloss er sich Graves an, und sie gingen in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Erst nach einer geraumen Weile – und auch erst, nachdem er einen raschen Blick über die Schulter zurückgeworfen und sich überzeugt hatte, dass Tom und Miss Preussler weit genug hinter ihnen zurückgefallen waren, um seine Worte nicht hören zu können – knüpfte er wieder an das unterbrochene Gespräch an. »Das war genial, Jonathan«, sagte er. »Ich hätte niemals geglaubt, dass es jemandem möglich wäre, Miss Preussler auf diese Weise zu überrumpeln.«
Täuschte er sich, oder blitzte es in Graves’ Augen kurz und amüsiert auf, als er seine Worte hörte? »Wer sagt, dass ich sie überrumpelt habe?«
»Du hast wieder einmal die Regeln geändert, nicht wahr?«, vermutete Mogens.
Graves schüttelte heftig den Kopf. »Keineswegs«, sagte er. »Was ich gesagt habe, war meine ehrliche Überzeugung.«
Nun war es Mogens, der ihn verwirrt ansah. »Du willst behaupten, dass du plötzlich an Gott glaubst?«, fragte er.
»Ich habe gesagt, dass all diese Welten dort draußen von einem Gott erschaffen worden sind«, bestätigte Graves. »Aber habe ich gesagt«, fügte er hinzu, und plötzlich klang seine Stimme ein ganz kleines bisschen besorgt, »von welchem?«
Mogens war verstört, und das Gefühl wurde mit jedem Schritt schlimmer, den er Graves und dem zitternden bleichen Finger aus Licht folgte, den dieser in die Dunkelheit vorausschickte. Hätte er versucht, sich diese Situation vorher in Gedanken auszumalen, so hätte er erwartet, dass er am Anfang verstört und ungläubig reagieren würde, später dann zweifelnd und schließlich, nachdem er eine angemessene Schamfrist eingehalten und seinem akademischen Verstand hinlänglich Zeit gewährt hatte, alle notwendigen Bedenken vorzubringen und alle Argumente gegeneinander abzuwägen, freudig erregt. Aber das genaue Gegenteil war der Fall.
Der Anblick der tanzenden Sterne hatte ihn einfach überwältigt. Da war gar kein Platz mehr gewesen für Zweifel, für irgendein Wenn und Aber oder logische Argumente. Er hatte gesehen, und das, was er gesehen hatte, das hatte die Barrieren seines Intellekts einfach überrannt, blitzschnell und ohneihm auch nur die mindeste Chance zur Gegenwehr zu lassen. In dem Moment, als er in der uralten Höhle gestanden und dem faszinierenden Tanz eines Sternbildes zugesehen hatte, das in dieser Konstellation schon seit fünftausend Jahren nicht mehr existierte, hatte er gewusst , dass Graves die Wahrheit sagte. Er hatte es wissen wollen .
Nun kamen die Zweifel.
Selbstredend gab auch der hartnäckig kritischste Teil seines Verstandes – der Wissenschaftler in ihm, den er für seinen Geschmack in letzter Zeit entschieden zu oft bemühen musste – zu, dass es mit der Höhle der Dogon etwas Besonderes auf sich hatte. Selbst der größte Zweifler konnte das, was er gerade mit eigenen Augen gesehen hatte, nicht einfach wegdiskutieren. Aber waren eine fünftausend Jahre alte Felszeichnung und eine Hand voll tanzender Lichter tatsächlich schon Beweis genug für das, was Graves behauptete? Die ganz eindeutige Antwort auf diese Frage war natürlich nein. Mogens kannte die Gefahr, in die gerade Menschen mit einem vermeintlich wissenschaftlich geschulten Verstand gerne gerieten, wenn sie etwas glauben wollten . Die Geschichten geradezu lächerlich großer Irrtümer, Täuschungen und Lügen hätten ganze Bände gefüllt, hätte sich jemand die Mühe gemacht, sie niederzuschreiben, und Graves und er hatten in ihrer Zeit als Studenten zahlreiche Nächte damit zugebracht, sich über die Irrtümer und Fehlinterpretationen zu amüsieren, denen gestandene Professoren und hoch angesehene Experten aufgesessen waren. Die schwebenden
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