Anubis - Roman
Wort der Verteidigung über sich ergehen ließ, und als auch Mogens als Letzter bei ihnen anlangte, wandte sie sich mit einem Ruck um und trat auf das Mädchen zu. Diesmal reagierte die junge Frau tatsächlich so, wie Mogens erwartet hatte und Miss Preussler anscheinend auch: Sie presste sich mit aller Kraft gegen den rauen Fels, und für einen winzigen Moment nahm ihr Gesicht einen gehetzten, fast panischen Ausdruck an. Ihr Blick irrte hierhin und dorthin, blieb für eine Sekunde an Graves’ hoch aufgeschossener Gestalt hängen, die den einzigen Fluchtweg versperrte, und sie machte tatsächlich eine schwache Bewegung, wie um es trotzdem zu versuchen, zog sich aber praktisch im gleichen Augenblick auch schon wieder in die Nische zurück.
»Bitte, mein Kind, du musst mir vertrauen!«, sagte Miss Preussler in flehendem Ton. Sie streckte vorsichtig die Hand nach dem Mädchen aus, erreichte damit aber nicht mehr, als dass es das Kind noch fester gegen sich presste und allen Ernstes zu versuchen schien, in den Felsen hineinzukriechen. Es hatte aufgehört zu wimmern, aber sein Gesicht war eine einzige Grimasse der Furcht.
Wütend fuhr Miss Preussler zu Graves herum. »Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben!«, sagte sie aufgebracht. »Ist Gewalt denn alles, wozu Sie fähig sind?«
Graves zog verächtlich die linke Augenbraue hoch. Ohne auf Miss Preusslers Worte zu reagieren, löste er sich von seinem Platz, trat auf sie zu und schob sie dann – ihre neuerlichen, geharnischten Proteste beharrlich ignorierend – einfach aus dem Weg. Gleichzeitig streckte er den linken Arm in Richtung des Mädchens aus.
Die junge Frau wimmerte vor Angst, und Mogens hielt instinktiv den Atem an, als er in Miss Preusslers Gesicht sah. Der Ausdruck darauf machte ihm klar, dass sie etwas wie das, was er vorhin auf der anderen Seite der Brücke getan hatte, nicht noch einmal dulden würde.
Graves versuchte aber auch nicht, dem Mädchen das Kind noch einmal zu entreißen. Er machte zwar eine entsprechende Bewegung, ließ den Arm dann aber sofort wieder sinken, trat demonstrativ einen Schritt zurück und wies mit der anderen Hand in die Richtung, in der ihr Ziel lag. Er sagte nichts, aber das Mädchen hatte verstanden, was er von ihm wollte. Ohne Graves’ Gesicht auch nur einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen, geduckt und wimmernd vor Furcht, aber gehorsam trat sie aus der Felsnische heraus und bewegte sich langsam in die Richtung, in die Graves deutete.
»Sehen Sie?«, fragte Graves mit einem dünnen, überheblichen Lächeln. »Es funktioniert.«
»Habe ich schon gesagt, dass ich Sie für einen Unmenschen halte, Doktor Graves?«, fragte Miss Preussler spröde.
»Mehrmals«, bestätigte Graves. »Aber Sie können sich später noch in aller Ausführlichkeit bei mir bedanken, meine Liebe. Jetzt gehen Sie bitte. Die Zeit läuft uns davon.«
Natürlich gehorchte Miss Preussler erst, nachdem sie ihm einen letzten, vernichtenden Blick zugeworfen hatte, dann aber wandte sie sich mit einem Ruck um und beeilte sich, zu dem Mädchen aufzuschließen. Mogens beobachtete, wie sie ihr den Arm um die Schulter legen wollte und das Mädchen die Bewegung erschrocken abschüttelte. Er hoffte, dass Graves nicht trotz allen scheinbar sichtlichen Erfolgs letztendlich einen Fehler gemacht hatte. Wenn die junge Frau sich im falschen Moment entschloss, etwas Unbedachtes zu tun, konnte das gut zu ihrer aller Verhängnis werden.
»Wie viel Zeit bleibt uns noch?«, fragte er, während sie den beiden Frauen in vorsichtigem Abstand folgten.
Graves hob die Schultern. Er sah ihn nicht an, als er antwortete. »Nicht mehr viel, fürchte ich«, sagte er. »Ich hoffe nur, Tom hat Recht und dieser Kanal führt tatsächlich nach draußen.«
»Und wenn nicht?«, fragte Mogens.
»Er muss einfach«, erwiderte Graves. Er sah sich unbehaglich um. »Ich habe verdammt viele von diesen Biestern gesehen, auf dem Weg zur Pyramide.« Er zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln. »Aber mach dir keine Sorgen, Mogens.«
»Weil du schon aus schlimmeren Situationen entkommen bist?«, fragte Mogens.
Graves warf ihm einen sonderbaren Blick zu. »Schlimmer wohl kaum«, sagte er. »Aber es waren tatsächlich einige dabei, die nicht sehr viel weniger gefährlich waren.«
Vorsichtshalber verzichtete Mogens darauf, eine entsprechende Frage zu stellen. Er bedauerte schon, Graves überhaupt angesprochen zu haben. Auch wenn der größte Teil ihres Wegs jetzt hinter ihnen lag,
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