Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
so hatte er doch das ungute Gefühl, dass die größte Gefahr vielleicht erst kam. Wo blieb nur Tom?
    Als wäre dieser Gedanke ein Stichwort gewesen, tauchte der Junge plötzlich dreißig oder vierzig Meter vor Miss Preussler zwischen den Felsen auf. Trotz des unsicheren und gefährlichen Untergrundes bewegte er sich im Laufschritt. Miss Preussler blieb stehen, und auch Graves stockte für einen Moment, lief aber dann umso schneller weiter. »Tom!«, rief er. »Was ist …«
    »Still!«, keuchte Tom erschrocken. »Versteckt euch! Schnell!«
    Das war leichter gesagt als getan. Der Pfad, über den sie sich bewegten, wurde von mehr als mannshohen Felsen auf der einen und einem gut zehn Meter tiefen Abgrund auf der anderen Seite flankiert. Zahllose Risse und Spalten gähnten im schwarzen Gestein, doch nicht einer von ihnen wäre auchnur annähernd breit genug gewesen, um sich darin zu verstecken. Für einen Moment drohte ihn Panik zu übermannen, und auch Graves sah sich mit immer hektischeren Kopfbewegungen um. Dann deutete er nach oben, auf einen Punkt, der nur wenige Schritte hinter Miss Preussler und dem Mädchen lag. »Dort!«, rief er. »Wir müssen klettern!«
    Mogens verspürte ein eiskaltes Frösteln, als sein Blick Graves’ ausgestreckter Hand folgte. Vielleicht drei oder vier Meter über ihnen befand sich tatsächlich ein horizontaler Spalt im Felsen, der mehr als breit genug war, sie allesamt aufzunehmen. Dort hinaufzuklettern erschien ihm jedoch als ein Ding der Unmöglichkeit. Ausgerechnet an dieser Stelle war die Wand nahezu spiegelglatt, gerade dass es einige winzige Risse und Unebenheiten gab, an denen vielleicht ein ausgebildeter Bergsteiger mit der entsprechenden Ausrüstung und vor allem genügend Zeit hätte hinaufklettern können, sie aber vermutlich nicht – und Miss Preussler und das Mädchen, das noch immer das tote Kind an sich presste, ganz bestimmt nicht.
    »Sie kommen!« Tom langte keuchend neben ihnen an und ließ sich mit der Schulter gegen das schwarze Gestein sinken. Trotz der Kälte war er schweißgebadet. »Sie sind auf dem Weg hierher.«
    »Hast du sie gesehen?«, fragte Graves.
    Tom schüttelte mühsam den Kopf. Er war so außer Atem, dass er zweimal ansetzen musste, bevor er antwortete. »Nein. Ich … glaub nicht. Aber sie sind dicht hinter mir.«
    Graves stellte keine weitere Frage mehr, sondern hob entschlossen die Arme und begann mit einem Geschick, das Mogens ihm nie und nimmer zugetraut hätte, an der fast senkrechten Felswand hinaufzuklettern. Schon nach wenigen Augenblicken hatte er den Sims erreicht, zog sich mit einem hörbaren Ächzen hinauf und war für einen Moment verschwunden. Dann tauchten sein Kopf und seine Schultern wieder auf, und er begann heftig zu gestikulieren. »Hier ist eine Höhle. Schnell!«
    Mogens hob wenig optimistisch die Arme, ließ sie aber sofort wieder sinken und sah hilflos von Miss Preussler zu Graves und wieder zurück. Ihr Blick wirkte nicht hilflos, sondern regelrecht entsetzt, zugleich aber auf eine sonderbar entschlossene Art resigniert.
    »Gehen Sie ruhig«, sagte sie. »Das schaffe ich nicht. Aber es gibt keinen Grund, aus dem sie uns alle kriegen sollten.«
    »Reden Sie nicht so ein dummes Zeug«, sagte Graves ärgerlich. »Wir sind zusammen hergekommen, und wir werden auch zusammen wieder gehen.«
    »Ich bin keine Bergziege, Doktor Graves«, antwortete Miss Preussler spröde, »falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte.«
    »Mit einer solchen hätte ich Sie niemals verglichen, Gnädigste«, antwortete Graves. »Tom, hilf ihr!«
    Tom? Mogens sah den Jungen verwirrt an. Tom war eine halbe Handspanne kleiner als er, und auch, wenn Mogens im Grunde nicht daran zweifelte, dass sich Tom vermutlich als stärker und ganz gewiss als ausdauernder als er selbst erweisen würde, wenn es darauf ankam, so änderte all das nichts an der Tatsache, dass der Junge allenfalls halb so wie wog wie sie. Auch ihre Gedanken mussten sich wohl auf ganz ähnlichen Pfaden bewegt haben, denn sie sah einfach nur fassungslos aus, Tom aber schien sich mit solcherlei Überlegungen gar nicht aufzuhalten. Ganz im Gegenteil reichte er Mogens entschlossen sein Gewehr, lehnte sich mit leicht gegrätschten Beinen mit dem Rücken gegen die Wand und verschränkte die Hände auf der Höhe seines Bauchnabels.
    »Was hast du vor, Thomas?«, fragte Miss Preussler unsicher.
    Tom machte eine aufmunternde Kopfbewegung. »Steigen Sie auf meine Hände«, sagte er. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher