Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
Sie, Professor«, sagte Miss Preussler leise. »Ich weiß nicht, ob ich an Ihrer Stelle die Kraft hätte.«
    »Welche Kraft?«
    »Nicht zu fragen«, antwortete Miss Preussler.
    »Fragen? Wonach?«
    »Professor, Sie wissen, dass ich nicht begeistert von den Dingen bin, mit denen Sie sich beschäftigen, aber mir ist dennoch klar, dass das alles hier die Erfüllung Ihres Lebens sein muss, ganz gleich, was ich davon halte. Sie müssen Tausende Fragen haben.«
    Sie irrt sich, dachte Mogens. Es waren nicht Tausende, es waren Millionen. Und dies hier unten war nicht die Erfüllung seines Lebens. Er hätte sein Leben gegeben , um nur einen einzigen Blick in diese fantastische Welt zu werfen. Trotzdem schüttelte er den Kopf. »Es gibt Antworten, die vielleicht nicht für Menschen bestimmt sind«, sagte er.
    »Und so etwas aus dem Mund eines Wissenschaftlers«, seufzte Graves. Sie hatten zwar leise gesprochen, aber er hatte jedes Wort verstanden.
    Mogens verzichtete auf eine Antwort, Miss Preussler allerdings nicht.
    »Gerade einem Mann der Wissenschaft steht ein wenig Demut gut zu Gesicht, Doktor Graves«, sagte sie.
    »Ganz wie Sie meinen, meine Liebe«, seufzte Graves. Er hatte offensichtlich keine Lust, weiter über dieses Thema zu reden, vielleicht auch nur nicht mit ihr .
    Miss Preussler schien jedoch nicht gewillt, so leicht aufzugeben. Sie setzte zu einer verärgerten Antwort an – und aus dem Sarkophag drang ein leises, scharrendes Kratzen.
    Mogens richtete sich kerzengerade auf, und auch Graves fuhr herum und starrte den Sarkophag aus aufgerissenen Augen an.
    »Was …?«, begann Miss Preussler, wurde aber sofort von Graves unterbrochen.
    »Still!«, zischte er. »Schweigen Sie!«
    Erstaunlicherweise sprach Miss Preussler tatsächlich nicht weiter, löste aber das Mädchen behutsam aus ihren Armen und richtete sich auf.
    Mogens lauschte mit klopfendem Herzen. Das Geräuschwiederholte sich nicht, aber es hätte der Reaktion der anderen nicht bedurft, um ihn davon zu überzeugen, dass er es sich nicht nur eingebildet hatte. Es war nicht laut gewesen, aber so durchdringend wie eine Messerklinge: der Laut stahlharter Krallen auf kaum weniger hartem Holz, und war da nicht auch etwas wie ein ganz leises, schweres Atmen gewesen?
    »Was war das?«, fragte Miss Preussler noch einmal.
    »Nichts«, antwortete Graves.
    »Danach hörte es sich aber gar nicht an«, beharrte sie.
    »Es war aber nichts!« Graves wurde wütend. »Das Holz arbeitet, oder sonst was. Bitte, Miss Preussler – unsere Lage ist schlimm genug, auch ohne dass wir uns selbst verrückt machen.« Er versuchte seinen Worten im Nachhinein mit einem Lächeln noch etwas von ihrer Schärfe zu nehmen, was ihm aber nicht wirklich gelang; vor allem nicht, als er zu ihnen zurückkam und sich dabei bemühte, in so großem Abstand an dem schwarzen Sarkophag vorüberzugehen, wie er nur konnte. Auch Miss Preussler sagte nichts mehr, aber der Blick, mit dem sie die geschnitzte Figur auf dem Sarkophagdeckel maß, sprach Bände. Nach einem Moment drehte auch sie sich wieder herum und ging zu ihrem Platz zurück. Das Boot schwankte bedenklich, als sie sich wieder setzte, um das Mädchen in die Arme zu schließen.
    Das unheimliche Geräusch wiederholte sich nicht – wenigstens nicht innerhalb der nächsten halben Stunde, in der die Barke in gleichmäßigem Tempo und fast ruhig dahinglitt. Niemand sprach. Das sonderbare Schleifen, das Mogens so beunruhigt hatte, wurde allmählich leiser und verstummte dann irgendwann ganz, ohne dass er seine Herkunft ergründet hätte, und es wurde allmählich kälter. Dann und wann schwappte eine Welle herein, sodass das Boot ganz langsam voll zu laufen drohte, ohne dass sie irgendetwas dagegen tun konnten. Sie hatten nichts, um zu schöpfen, und es mit bloßen Händen zu versuchen, verbot sich von selbst. Die allmählich größer werdende Pfütze war voller wehender Haare, und auch wenn Graves behauptet hatte, sie wären im Grundeharmlos, wagte es doch keiner, diese Behauptung auf die Probe zu stellen. Nicht einmal er selbst.
    Vielleicht würden sie es ausprobieren müssen, ob sie wollten oder nicht, dachte Mogens besorgt.
    Dann und wann stieß das Boot gegen ein Hindernis, das unter der Wasseroberfläche verborgen war, oder scharrte über den Grund des Kanals, und diese Gelegenheiten – obschon selten – schienen mehr zu werden, für Mogens ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Barke entweder allmählich voll lief und somit

Weitere Kostenlose Bücher