Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
sondern breitete nur in einer Geste der Hilflosigkeit die Hände aus, und Mogens verspürte einen Schauer eisigen Entsetzens. Seine Fantasie weigerte sich, ihm auszumalen, was geschehen mochte, wenn Tom mit seinem Rucksack voller Sprengstoff auch nur in die Nähe des Tores kam. Er hatte es niemals gesehen, und er war auch kein Physiker oder Astronom, aber ihm war klar, welch wortwörtlich unvorstellbarer Gewalten – ob physikalischer, psychischer oder vielleicht auch gänzlich anderer Art – es bedurfte, die ungeheuerlichen Entfernungen zwischen den Sternen zu überbrücken, und was geschehen konnte, wenn diese Kräfte außer Kontrolle gerieten.
    »Ich weiß nicht, was geschehen wird, Miss Preussler«, sagte Graves noch einmal. »Vielleicht nichts, vielleicht auch etwas Unvorstellbares.«
    »Die gesamte Höhle könnte zusammenstürzen«, murmelte Miss Preussler betroffen.
    »Das könnte passieren«, antwortete Graves ernsthaft. »Es könnte aber auch das Ende unserer ganzen Welt bedeuten.«

Wenn Graves’ Behauptung zutraf, dass sie sich ungefähr drei Meilen von der Küste entfernt befanden, würden sie mindestens eine Stunde brauchen; vermutlich sogar mehr, denn das Boot wurde zwar noch ein wenig schneller, bewegte sich dennoch aber erbärmlich langsam. Die riesigen Steinquader, aus denen der Tunnel gebaut war, und die zitternden Fäden im Wasser machten es schwer, ihr Tempo zu schätzen, aber Mogens glaubte nicht, dass sie sich schneller bewegten als ein gemächlich dahinschlendernder Spaziergänger. Wahrscheinlich lagen vor ihnen eher zwei Stunden als eine, aber genauso wahrscheinlich war, dass es keine Rolle spielte – sie würden es so oder so nicht schaffen.
    Nach Graves’ Worten hatte sich ein bedrückendes Schweigen ausgebreitet. Selbst Miss Preussler schien begriffen zu haben, in welch entsetzlicher Gefahr sie schwebten, und vielleicht war ihr auch die Schlussfolgerung aus Graves’ Worten klar, die zwar keiner von ihnen auszusprechen wagte, die aber dennoch ebenso unausgesprochen wie unüberhörbar im Raum hing: dass sie nur eine einzige Hoffnung hatten, so schrecklich sie auch sein mochte. Nämlich die, dass die Ungeheuer Tom erwischten, bevor er in die Nähe der Pyramide kam. Der Gedanke war so unmenschlich, dass Mogens sich fast schämte, ihn überhaupt gedacht zu haben, und doch wurde er ihn nicht mehr los; auch wenn er zugleich ahnte, dass Tom sich vermutlich nicht aufhalten lassen würde.
    Nachdem sie dem Tode so knapp entronnen waren, hatte sich ein ungutes, lastendes Schweigen zwischen ihnen auszubreiten begonnen. Das einzige Geräusch war das noch immer anhaltende seidige Rauschen, in dem Mogens nun sogar einen verborgenen Rhythmus zu erkennen glaubte, auch wenn er es immer noch nicht einordnen konnte, und das auf die Dauer eine einlullende Wirkung zu entfalten begann. Er ließ sich mit dem Rücken gegen die Bordwand sinken und schloss die Augen. Allerdings nur für einen Moment. Die Dunkelheit hinter seinen geschlossenen Lidern erschreckte ihn. Hastig öffnete er die Augen wieder und sah zu Graves hin, der im Bug der Barke Aufstellung genommen hatte. Wie er so dastand, einen Fuß auf die niedrige Bordwand gestützt und die Lampe in der erhobenen Hand, erinnerte er Mogens an Kapitän Ahab, der auf den Weißen Wal wartete. Der Gedanke war auf eine hysterische Art erheiternd, ließ ihm aber zugleich auch einen Schauer über den Rücken laufen. Nicht einmal so sehr wegen der ihm innewohnenden Symbolik, sondern weil er eine andere, bisher vergessen geglaubte Erinnerung weckte. Die Erinnerung an etwas … Großes .
    »Wo endet dieser Kanal, Jonathan?«, fragte er nachdenklich.
    »Im Meer, nehme ich an«, antwortete Graves mit leichtem Spott in der Stimme. »Jedenfalls liegt die Vermutung nahe, wenn man in Betracht zieht, dass es sich um Salzwasser handelt. Warum fragst du?«
    Mogens konnte nicht unmittelbar darauf antworten. Der Gedanke war noch zu vage und die Erinnerung noch nicht klar genug erwacht, aber es hatte etwas mit Tom zu tun.
    Dann wusste er es. Es war am ersten Tag gewesen, als Tom ihn mit dem Wagen in San Francisco abgeholt hatte. Sie waren ein Stück weit an der Küste entlanggefahren, und er hatte etwas gespürt , etwas Gewaltiges und Fremdes, das weit draußen im Meer lauerte, unerkannt und verborgen und mit der Geduld eines Wesens, für das Zeit keine Rolle spielte. Was hatte Graves gesagt, nachdem er aus der Pyramide zurückgekehrt war? Es ist voller Wasser.
    »Ich bewundere

Weitere Kostenlose Bücher