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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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drehte sich um, kaum dass Mogens an ihm vorbeigetreten war, ließ das Vorhängeschloss einrasten und zog den Schlüssel ab, um ihn in die Westentasche zu stecken. Mogens sah ihn fragend, aber auch ein ganz kleines bisschen alarmiert an. Er hatte es noch nie ertragen, eingesperrt zu sein.
    »Ich will nur sichergehen, dass wir auch ungestört bleiben«, sagte Graves, dem Mogens’ Blick nicht verborgen geblieben war. »Normalerweise öffne ich die Geheimtür nur sonntags, wenn Hyams und die anderen in der Stadt sind.«
    »Und du wunderst dich, dass die anderen allmählich misstrauisch werden?«, fragte Mogens.
    Graves hob zur Antwort nur die Schultern und ging weiter. Er war ganz offensichtlich nicht bereit, weiter über dieses Thema zu reden.
    Sie steuerten die Geheimtür an, wie Mogens nicht anders erwartet hatte – aber zu seiner nicht geringen Überraschung stand sie weit offen, und er bemerkte erst jetzt, als er unmittelbar davor stand, das dicke Elektrokabel, das sich über den Boden schlängelte und in dem dahinter liegenden Gang verschwand.
    Die zweite – und weitaus größere – Überraschung war die schlanke Gestalt, die ihnen entgegenkam, kaum dass sie wenige Schritte weit in den Tunnel eingedrungen waren.
    »Tom!«
    Tom nickte ihm flüchtig zu und wandte sich dann an Graves. »Ich bin fast fertig, Doktor Graves«, sagte er. »Ich muss nur noch die Lampen holen und anschließen.«
    »Das hat Zeit bis heute Nacht«, antwortete Graves. »Du kannst das erledigen, nachdem du das Abendessen aufgetragen hast. Jetzt geh und ruh dich ein paar Stunden aus.«
    Tom nickte dankbar und entfernte sich rasch. Graves sah ihm nach, bis er den Gang verlassen hatte und seine Schritte draußen verklungen waren, dann fügte er leiser und mit einem angedeuteten Kopfschütteln hinzu: »Der Junge hat die ganze Nacht gearbeitet.«
    »Ich dachte, dir wäre daran gelegen, dass niemand von diesem Gang erfährt«, sagte Mogens.
    »Das ist auch so«, bestätigte Graves. »Niemand, der nicht ohnehin schon von seiner Existenz weiß – und davon, wohin er führt.« Er lächelte flüchtig. »Unterschätze niemals die Neugier eines Kindes, Mogens. Hyams und die beiden anderen mögen noch darüber spekulieren, was ich hier gefundenhabe, aber Tom wusste es bereits kurz nach mir.« Er hob die Schultern. »Wir brauchen Licht für unsere Arbeit. Mir war nicht danach, Kabel zu verlegen und Lampen zu installieren – ganz davon zu schweigen, dass ich es gar nicht könnte. Du vielleicht?«
    Mogens schüttelte den Kopf. »Und du vertraust Tom?«
    »Habe ich eine andere Wahl?« Graves lachte. Aber er wurde auch sofort wieder ernst. »Nein, ich vertraue Tom. Vielleicht ist er sogar der Einzige hier, dem ich wirklich vertrauen kann. Dich natürlich ausgenommen«, fügte er mit einem feinen Lächeln hinzu.
    »Natürlich«, sagte Mogens.
    Sie gingen weiter, nachdem Graves wieder die Karbidlampe aus der Nische in der Wand genommen und eingeschaltet hatte. Das schwarze Elektrokabel, so dick wie Mogens’ Handgelenk, ringelte sich vor ihnen in der Dunkelheit und wies ihnen den Weg, endete aber vor dem Schutthaufen, der den Gang von der eigentlichen Zeremonienkammer trennte. Wie am Vortag kletterte Graves voraus. Diesmal ließ er die eingeschaltete Lampe oben auf der Halde liegen, sodass ihr grelles Licht Mogens zumindest nicht mehr die Tränen in die Augen trieb, als er ihm folgte.
    Graves hatte diesmal in der Kammer gleich vier Sturmlaternen entzündet, als Mogens sie betrat. Das Licht war somit doppelt so hell, schien die Dunkelheit aber dennoch nicht nennenswert mehr zu vertreiben, sondern die Schwärze jenseits seiner vagen Grenzen noch zu betonen. Mogens hatte erneut das Gefühl, große, sich auf sonderbar ungesunde Weise bewegende Schemen zu sehen, die sich dem Licht näherten, es aber nicht wirklich zu berühren wagten.
    »Da du hier bist, muss ich dich nicht mehr fragen, wie du dich entschieden hast, nehme ich an«, sagte Graves, während er Mogens gleich zwei der vier Lampen reichte, die er entzündet hatte. »Also lass uns beginnen. Wir haben nicht alle Zeit der Welt.«
    Mogens griff gehorsam nach den beiden Laternen und folgte Graves, der zielstrebig die so seltsam unregelmäßigeTreppe ansteuerte, welche zu dem monströsen Tor mit seinen beiden noch viel monströseren Torwächtern hinaufführte. Das hellere Licht hätte den Effekt mildern sollen, aber das genaue Gegenteil war der Fall: Der flackernde Schein schien das unheimliche Spiel

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