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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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der Schatten und vermeintlichen Bewegung noch zu verstärken. Sie sollten nicht dort hinaufgehen. Dieses gewaltige Tor aus unzerstörbarem Metall hatte einen Sinn, so wie auch die beiden oktopoiden Wächterdämonen nicht grundlos dort oben standen oder nur der Fantasie des prähistorischen Künstlers entsprungen waren, der sie erschaffen hatte.
    »Und was genau erwartest du jetzt von mir?« Mogens fühlte sich hilflos, schlimmer noch: deplatziert. Im wortwörtlichen Sinne an einem Ort, an dem er nicht sein sollte. An dem kein Mensch sein sollte.
    Graves war ein paar Schritte vorausgeeilt, blieb aber genau wie Mogens stehen, bevor der Schein seiner Lampen die monströsen Statuen vollends aus der Dunkelheit reißen konnte, in der sie seit Jahrtausenden geschlafen – und gewartet? – hatten. »Wenn ich die Antwort auf diese Frage wüsste, wärst du nicht hier«, sagte er.
    Er hob eine seiner Laternen, aber ihr Licht schien die riesige krakengesichtige Kreatur auf ihrem schwarzen Steinsockel nicht wirklich zu berühren, sondern im allerletzten Moment davor zurückzuprallen wie eine Hand, die der Flamme um ein Haar zu nahe gekommen war und im allerletzten Moment zurückzuckte, bevor sie sich verbrennen konnte. Im Gegenzug schien die unheimliche Steingestalt mit einem jähen Satz auf sie zuzuspringen, ohne die zitternde Barriere indes weiter überwinden zu können, als das Licht zuvor die Schatten vertrieben hatte. Doch sie zogen sich auch nicht wieder zurück, sondern krallten sich in den Rand aus zerbrechlicher Helligkeit, um ihn geduldig zu belagern und daran zu nagen, so wie die Finsternis das Licht seit Anbeginn der Zeiten belagert hatte – Kombattanten in einem Krieg, der ewig währen mochte, an dessen letztendlichem Ausgang es aber keinen Zweifel gab.
    Statt sich der Treppe und damit dem Tor weiter zu nähern, machte Mogens im rechten Winkel kehrt und steuerte die nächstgelegene Wand an, um die Malereien und Hieroglyphen darauf einer ersten, gründlicheren Untersuchung zu unterziehen.
    Was er erfuhr, war schlimm genug.

Während der nächsten zwei oder drei Tage sah er seine neuen Kollegen so gut wie gar nicht – was zu einem Gutteil daran lag, dass zumindest McClure und Hyams ihm aus dem Weg gingen und er auf Mercers Gesellschaft von sich aus keinen besonderen Wert legte. So sympathisch ihm der fettleibige Trunkenbold auch auf den ersten Blick vorgekommen sein mochte, war ihm seine jovial-oberflächliche Art im Grunde doch zutiefst zuwider.
    Es machte ihm nichts aus. Mogens war zeit seines Lebens ein Einzelgänger gewesen, und in den zurückliegenden Jahren hatte er sich zudem an das Alleinsein gewöhnt. Dazu kam, dass ihn seine Arbeit bald so in Beschlag nahm, dass er jedwede Störung ohnehin nur als Belästigung empfunden hätte.
    Tom war an jenem Tag nicht mehr zurückgekehrt, um das Stromkabel zu verlegen und die Lampen anzuschließen, was Mogens aber nicht wirklich als Manko empfunden hatte. Ganz im Gegenteil war ihm tief in seinem Innern nicht wohl bei dem Gedanken, die unterirdische Katakombe mit von Menschen geschaffenem Kunstlicht zu fluten. Und es kam noch etwas hinzu: Je mehr der unheimlichen Symbole und Bildnisse er fand, desto weniger wollte er sie sehen. Es war fast absurd: Im gleichen Maße, in dem Mogens die Geheimnisse der alten Bilderschrift zu enträtseln begann, wuchs die Faszination, mit der ihn die Geschichte erfüllte, die sie zu erzählen hatte – aber auch seine Furcht. Bald begann er die Dunkelheit, die ihn bei seinem ersten Besuch hier unten mit solchem Unbehagen erfüllt hatte, fast als einen Freund zu betrachten, verbarg sie doch die unheimlichen Bilder und gemeißeltenGötzenstatuen barmherzig vor seinem Blick. Wenn er allein in der Kammer war, reduzierte er die Beleuchtung meist auf ein Minimum und arbeitete oft genug nur im Schein einer Petroleumlampe.
    Die meiste Zeit aber verbrachte er ohnehin allein in seiner Hütte und in der Gesellschaft der Bücher, die Graves herangeschafft hatte. Ihm war rasch klar geworden, wie wenig Sinn es machte, ziel- und wahllos herumzustochern. Er musste das Rätsel dieser uralten Bildersprache – denn um nichts anderes konnte es sich seiner Meinung nach handeln – lösen, wollten sie dem viel größeren, düsteren Geheimnis der Kammer auf die Spur kommen.
    Was nichts anderes bedeutete, als dass sich Mogens der Aufgabe gegenübersah, eine vollkommen unbekannte Sprache zu entschlüsseln, deren Wurzeln nicht nur womöglich Tausende von

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