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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Jahren in die Vergangenheit zurückreichten, sondern die auch mit nichts zu vergleichen war, was er jemals gesehen hatte. Jeder andere an Mogens’ Stelle hätte vielleicht vor der schieren Größe dieser Aufgabe kapituliert, Mogens aber sah nur die Herausforderung, die er – ohne wirkliche Überzeugung, sie zu bewältigen, aber dennoch mit Begeisterung – annahm.
    Zweifellos hätte er Hyams’ Hilfe dabei gut gebrauchen können, denn auch wenn das alte Ägypten nie sein spezielles Fachgebiet gewesen war – um ehrlich zu sein, hatte es ihn nie sonderlich interessiert –, erkannte er doch praktisch auf den ersten Blick, dass es sich bei den Wandmalereien um ein schier unentwirrbares Konglomerat aus ägyptischen Hieroglyphen und einer anderen, viel älteren Schrift handelte. Sicher wäre es Hyams ein Leichtes gewesen, diese beiden vollkommen differenten Sprachen mit einem einzigen Blick zu unterscheiden; Mogens kostete es einen Tag, auch nur ein grobes Raster zu entwickeln, mittels dessen er dasselbe auch nur versuchen konnte. Dennoch erwog er nicht einmal den Gedanken, sie um ihren Rat zu fragen; davon abgesehen, dass sie sich vermutlich glattweg geweigert hätte, bei seinem »Hexenwerk« mitzuhelfen, würde Graves mit Sicherheit nicht zulassen, dass eine weitere Person das Geheimnis seines Allerheiligsten entdeckte.
    Er kam jedoch auch so – wenn auch langsam – voran. Am Abend des zweiten Tages hatte er eine Art grobes Alphabet erarbeitet – um der Wahrheit die Ehre zu geben: zu einem nicht geringen Teil erraten  – und begann nach Ähnlichkeiten zu suchen. Zu seiner Überraschung fand er sie.
    Er brauchte einen weiteren Tag, doch schließlich stieß er in einem der Bücher auf ein Symbol, das ihm vage bekannt vorkam. Es war nicht identisch, nicht einmal wirklich ähnlich; jedem anderen wäre vielleicht nicht einmal eine Ähnlichkeit aufgefallen, aber irgendetwas daran … erinnerte Mogens an die unheimlichen Wandmalereien. Von dem Symbol, das er auf einer der uralten, handgeschriebenen Seiten entdeckte, ging die gleiche unheimliche Ausstrahlung aus, dasselbe Kratzen an den Pforten seiner Seele, das er auch unten in der Katakombe verspürt hatte.
    Jenem ersten Symbol folgte ein weiteres, und noch eines und noch eines, und endlich war es, als hätte sich in seinem Geist eine Tür aufgetan, hinter der das Begreifen, das ihm bisher gefehlt hatte, säuberlich in langen Regalen aufgestapelt lag und nur darauf wartete, von ihm genutzt zu werden. Mehr als einmal wurde ihm selbst unheimlich, als er sich der Leichtigkeit bewusst wurde, mit der er in die Geheimnisse einer Sprache eindrang, die untergegangen war, bevor es Menschen auf dieser Welt gab. Aber genau so war es. Nachdem Mogens einmal durch jene geheimnisvolle Tür getreten war, fiel es ihm nicht nur zunehmend leichter, sich das Verständnis der verschlungenen Buchstaben und Bildsymbole zu Eigen zu machen. Er entwickelte auch ein wachsendes Verständnis dafür, was diese Sprache war , nämlich viel mehr als eine Aneinanderreihung von Worten und Informationen, die das Vermächtnis derer weitergaben, die sie gesprochen hatten, sondern in gewissem Sinne ein Teil ihrer Schöpfer selbst. Es gab einen fundamentalen Unterschied zwischen dieser und jeder anderen Sprache, der Mogens jemals begegnet war: Diese Sprache hatte eine Seele.
    Am Abend des dritten Tages, nachdem er mit seiner Arbeit begonnen hatte, ließ Graves ihn durch Tom in die Zeremonienkammer rufen, was ungewöhnlich genug war. Normalerweise verließen sie alle bei Einbruch der Dunkelheit die unterirdische Grabungsstätte, und Graves duldete es nicht, dass sich jemand allein »dort unten herumtrieb«, wie er es ausgedrückt hatte. Noch ungewöhnlicher erschien es Mogens, dass der Generator noch lief; während er Tom zum Zelt folgte, konnte er wieder das schwache Vibrieren des Bodens unter seinen Füßen spüren. Und obwohl er längst wusste, dass es nur das Arbeiten der großen Maschine war, das er wahrnahm, lief ihm ein Schauer über den Rücken; denn er hatte mehr denn je das unheimliche Empfinden, das Regen eines gewaltigen lebenden Wesens tief unter seinen Füßen zu spüren.
    Allein um diesen bizarren Gedanken zu vertreiben, schritt er schneller aus, sodass er Tom einholte, noch bevor sie das Zelt und die nach unten führende Leiter erreichten. »Hat Doktor Graves gesagt, was er von mir will?«, fragte er.
    Tom hob die Schultern und griff mit beiden Händen nach der Leiter. »Nein. Er hat

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