Anubis - Wächter im Totenreich
Bewegungen wirkten steif, eckig und drohend.
Mit jedem Schritt, den die Mumie zurücklegte, steigerte sich die Angst des Fischers.
Das Boot war nicht sehr breit. Es ließ sich leicht ausrechnen, wann die Mumie den Menschen erreicht hatte, und Sadir tat auch nichts dagegen, seinem Schicksal zu entgehen. Er war einfach nicht fähig denn er fühlte sich inmitten eines Alptraums versetzt. Nur erlebte er diesen Alptraum voll mit, er war gewissermaßen der Mittelpunkt, und die Geschichten, die man sich des Abends in den Wüstencamps erzählte, waren für ihn zur schaurigen Realität geworden.
Auch die Kulisse stimmte. Der dunkle Fluß, die Sterne am Himmel, der laue Wind, der über das Wasser fuhr, das trug dazu bei, sich als Mensch fürchten zu können.
Sadir hatte Angst.
Mit jedem Schritt, den die Mumie zurücklegte, wurde sie größer. Beinahe überdeutlich nahm der Fischer die ihn umgebenden Laute und Geräusche wahr, die einfach dazugehörten.
Es war das Knattern des Segels, das Knarren des Holzmastes, der immer zu stöhnen schien, wenn sich das Segel blähte, das Klatschen der Wellen und die Schritte.
Eine arhythmische Todesmelodie, die um so lauter wurde, je näher die Mumie kam.
Sadir streckte seine Arme aus. Er schlug nicht um sich, er stand nur da und fühlte plötzlich den nassen Stoff unter seinen Fingern. Mit den Händen konnte er hineingreifen, wobei er das Gefühl hatte, in feuchten Uferschlamm zu fassen.
Die Mumie schlug zu.
Es war ein harter Hieb, und sie hatte den Schlag von oben nach unten geführt.
Sadir wurde an der rechten Schulter getroffen. Er spürte die Schmerzen und sackte in die Knie. Noch in der Bewegung sah er den zweiten Schlag. Wieder von oben nach unten.
Diesmal war nicht die Schulter das Ziel, sondern der Kopf. Er schien im nächsten Augenblick zu explodieren. Vor den Augen des Mannes blitzten Sterne. Sadir sank noch tiefer, wobei er den dritten Treffer kassierte, der ihn endgültig auf die Planken schickte und in die Tiefen der Bewußtlosigkeit riß.
Aber die Mumie war noch nicht fertig. Sie schlug weiter, und zwar so lange, bis kein Leben mehr in dem Fischer steckte. Jetzt erst hatte sie den ersten Teil ihrer Aufgabe erfüllt. Ghamal, der Sohn des Toten, befand sich unter Deck. Er beschäftigte sich mit den Fischen, hatte die schlechten von den guten aussortiert und neben sich das Transistorradio gestellt. Er hörte den Sender Kairo, der englische Musik brachte.
Ghamal lauschte den Klängen, während er das lange, äußerst scharfe Messer in die rechte Hand nahm und damit begann, die Leiber der gesunden Fische aufzuschlitzen. Er nahm die Eingeweide heraus und schleuderte alles Eßbare in ein kleines Faß, das mit einer Salz-und Pökellake gefüllt war.
Der junge Mann war lange genug mit seinem Vater »im Geschäft«. Er beherrschte die Technik des Ausnehmens perfekt. So flog Fisch auf Fisch in die Lake, während er weiterhin der Musik lauschte. Dann passierte es.
Ghamal hatte sich wieder einen Fisch genommen und das Messer schon angesetzt, als er innehielt. Über sich hatte er Geräusche vernommen. Dumpfe Laute, als wäre dort etwas hart zu Boden gefallen. Der Sohn des Fischers saß für einen Moment regungslos, weil er einfach keine Erklärung für dieses Geräusch wußte. Dann aber dachte er an seinen Vater, und seine Lippen verzogen sich.
Abermals hörte er die Geräusche. Dazwischen auch andere, die ihn an Schläge erinnerten. Plötzlich bekam er Angst.
In seinem Innern schien der Magen zu Stein zu werden. Er dachte wieder an den grünlich schimmernden Schakalkopf, den er auf dem Wasser gesehen hatte, und er wußte genau, daß das Unheil auf dem Weg zu seiner Familie war.
Ghamal erhob sich, blieb stehen und wandte sein Gesicht der Ausstiegsluke zu.
»Vater?« rief er.
Niemand gab ihm Antwort. Nach seinem fragenden Ruf waren auch die Geräusche auf Deck verstummt, und nur das Klatschen der Wellen hörte er noch.
Vor Nervosität leckte er über seine Lippen. Er zwinkerte mit den Augen, denn er wußte im Augenblick nicht, was er unternehmen sollte. Daß an Deck einiges nicht mit rechten Dingen zuging, war ihm klargeworden, und er dachte an Piraten.
Es gab diese Piraten tatsächlich, die nachts unterwegs waren und einsame Fischerboote überfielen. Meist griffen diese Flußräuber gnadenlos an und töteten die Menschen auf den Booten. Ghamal besaß nur ein Messer. Damit allerdings konnte er sehr geschickt umgehen, und er schüttelte seine Furcht ab. Wenn es um die
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