Anwältin der Engel
auf Schubkarren. »He! Shirl!«, rief Missy. »Du hast Besuch!«
Eine kleine, magere Frau lehnte ihre Mistgabel an die Wand, wischte sich die Hände an den Jeans ab und kam auf sie zu.
»Das ist Brianna Winston-Beaufort, Shirl.«
»Wir kennen uns. Oder eher, ich weiß, wer sie ist. Ich habe sie im Gerichtssaal schon gesehen.«
»Na, dann weißt du ja auch, dass Probert Chandlers Witwe sie beauftragt hat, Lindsey Chandler zu vertreten. Du brauchst nicht mir ihr zu reden, aber wenn ich sie richtig einschätze, wird sie dich sicher nicht anlügen. Ich kenne sie nämlich. Falls du Fragen hast, kannst du jederzeit zu mir kommen. Soll ich in der Nähe bleiben?«
»Nein«, antwortete Shirley. »Aber trotzdem vielen Dank, Mrs. Trask.«
»Dann lass ich euch zwei jetzt allein. Würdest du wohl, bevor du gehst, noch mal zu mir kommen, Bree?«
»Klar.«
Missy machte kehrt und stampfte in Richtung Büro davon.
Es fing an zu nieseln. Shirley zog sich die Kapuze ihres Sweatshirts über den Kopf und zeigte auf die Box, die sie gerade ausgemistet hatte. »Dort können wir uns unterstellen. Aber Sie werden sich bestimmt Ihre Schuhe ruinieren.«
»Ich hätte mir ein Paar Gummistiefel ins Auto packen sollen. Hätte ich auch getan, wenn ich gewusst hätte, dass ich hierherkomme.«
»Es ist schön, hier zu arbeiten.« Shirley trat in die Box, die zwar voller Stroh, sonst aber leer war. Dann drehte sie sich um und sah Bree mit ihren grauen Augen offen an. »Mir gefällt’s jedenfalls. Die Tiere werden gut behandelt –und die Menschen ebenfalls.«
Shirley war im Gericht mit einem gewissen Maß an Würde aufgetreten, obwohl Bree bemerkt hatte, dass derRichter, die zahllosen Gerichtsbeamten und die hohe, imposante Decke des Saals einschüchternd auf sie gewirkt hatten.
»Ist diese Lindsey immer noch im Gefängnis? Ich hab gehört, dass die Cops sie wieder abgeholt haben, obwohl ich dem Richter gesagt hab, dass ich die Anzeige zurück ziehe.«
Bree stellte ihre Aktentasche ins Stroh. »Nein. Sie ist gegen Kaution draußen. In Obhut ihrer Mutter und mit einer elektronischen Fußfessel versehen.«
Shirley deutete ein Lächeln an. »Könnte wetten, dass sie einen Weg findet, das Ding abzubekommen.«
Bree sah Shirley unverwandt an. »Sie mögen sie nicht besonders, oder?«
Shirley zuckte die Achseln. »Ein Kind, das so viel hat wie sie … warum musste sie ausgerechnet über meine Sophie herfallen?«
»Ist mir auch ein Rätsel«, gestand Bree. »Ihre Sophie ist entzückend, Mrs. Chavez.« Was durchaus der Wahrheitentsprach. Sophie hatte große dunkle Augen, langes lockiges schwarzes Haar und Grübchen und legte gegenüber Fernsehkameras eine erstaunliche Gelassenheit an den Tag. Allerdings hatte Bree festgestellt, dass die meisten Kids unter zwanzig vor Kameras vollkommen entspannt wirkten. Vielleicht hatte das etwas damit zu tun, dass sie ihr Leben mit YouTube verbrachten. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einmal so wird wie die Lindsey Chandlers dieser Welt. Trotzdem müssen Sie gut auf sie aufpassen.«
»Das versuchen wir ja, Luis und ich. Wir haben fünf Kinder, wissen Sie. Jeder von uns hat zwei Jobs, damitwir finanziell über die Runden kommen. Meine Älteste, Luisa, verdient sich auch schon mit Babysitten Geld dazu. Obwohl jetzt … « Sie verstummte und kaute an ihrer Unterlippe herum.
»Jetzt was?«, hakte Bree nach, obwohl sie ziemlich sicher war, was nun kommen würde.
»Ach, nichts.«
»Mrs. Chavez, Sie wissen, dass ich Lindseys Rechtsanwältin bin. Dass ich auf ihrer Seite stehe und nicht auf der des Gerichts. Worauf ich hinauswill, ist Folgen des. Ich würde gern wissen, ob jemand aus der Familie Chandler Ihnen Geld gegeben hat, damit Sie die Anzeige gegen Lindsey zurückziehen.«
Shirley starrte auf ihre Füße.
»Ich bin nicht hier, um das Geld zurückzufordern.« Bree hob die Hand. »Und auch nicht, um Ihnen noch mehr zu bringen. Wenn Sie gegen die Familie einen Zivilprozess anstrengen würden, bekämen Sie wahrscheinlich Schmerzensgeld. Wenn Ihnen also jemand einen Scheck gegeben hat, dann war das ein privater außer gerichtlicher Vergleich. Zumindest könnte ich es notfalls so darstellen. Ich muss nur wissen, ob … « Bree hielt inne und suchte nach einem Ausdruck, der weniger provokativ war als Bestechungsgeld. » … ob Sie eine Vergütung erhalten haben.«
»Ja.«
»Sie haben also Geld bekommen.«
»Für Sophie.«
»Natürlich für Sophie.«
»Und für Luis und mich auch.
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