Anwältin der Engel
Rechtsanwälte durch, die bei Stubblefield, Marwick arbeiteten. Die Beschreibung passte zwar auf keinen, den sie kannte, aber mit Sicher heit war es einer der zahlreichen Anwälte, die mit George Chandlers Angelegenheiten betraut waren. Da er ziem lich auffällig zu sein schien, konnte sie ihn notfalls sicher ausfindig machen. Und falls sie zu dem Schluss kam, dass es ihr Genugtuung bereitete, Payton bloßzustellen, würde sie das möglicherweise auch tun.
»Was für eine Farbe haben sie denn in Wirklichkeit?«
»Wie?«, sagte Bree.
»Die Augen von diesem schnuckeligen Typ, der uns den Scheck gegeben hat.«
Bree biss die Zähne zusammen. »Rattengrau, Mrs. Chavez. Rattengrau.« Eine Ratte war er ohne Frage – und überdies so schleimig, dass er auch noch jemand anderen mit der Aufgabe betraute, das Ehepaar Chavez einzuschüchtern.
Sie überquerte den Hof, wobei sie im ersten Augenblick kaum bemerkte, dass der Regen stark zugenommen hatte. Als sie das Bürogebäude dann erreichte, war ihr Haar völlig durchnässt. Wasser tropfte ihr in den Nacken, und ihr weißes seidenes T-Shirt klebte ihr so am Leib, dass sich ihre Brust aufs Peinlichste darunter abzeichnete. Nachdem sie kurz angeklopft hatte, öffnete sie die Eingangstür, da sie nicht länger im Nassen stehen wollte.
»Nun sieh mal einer an, was die Katze da ins Haus gebracht hat«, sagte Missy Trask. Dabei wandte sie sich dem Mann zu, der hinter dem Schreibtisch saß. »Bevor der Regen sie erwischt hat, sah sie ziemlich gut aus.«
»Hallo, Bree.«
Bree seufzte und stellte ihre Aktentasche ab. »Hallo, Abel.«
Was ist Persönlichkeit anderes
als die Determinierung von Geschehen?
Henry James, Die Kunst der Dichtung
»O Gott, o Gott«, sagte Ron. »Wollen Sie denn nicht lieber nach Hause fahren und sich umziehen? Sie sind ja klatschnass.«
«Ist schon okay«, murmelte Bree mürrisch. Dann hängte sie ihre Kostümjacke über die Rückenlehne des Stuhls und streifte ihre durchweichten Schuhe ab. Ihr T-Shirt war, nachdem sie die Heizung im Auto angestellt hatte, rasch getrocknet, aber völlig zerknittert. Sie war äußerst dankbar dafür, dass in ihrer Generation das Tragen von Strumpfhosen außer Mode gekommen war. Eine nasse Strumpfhose wäre wirklich der Gipfel gewesen.
»Gibt’s was Interessantes zu berichten?«, erkundigte sich Ron. »Weil ich nämlich eine Wagenladung, nein, sogar eine Zug ladung neuer Informationen habe. Ich bin ja so brillant!« Petru, der in der Türöffnung aufgetaucht war, warf ihm einen abfälligen Blick zu.
»Gleich«, fuhr Bree ihn an. »Ich bin auch auf einige Anhaltspunkte gestoßen.«
Ron zog die Augenbrauen hoch. »Und deswegen haben Sie schlechte Laune? Konkrete Anhaltspunkte? Wir machen doch gewaltige Fortschritte.«
»Ich habe keine schlechte Laune«, gab Bree barsch zurück. Bis vor Kurzem hatte sie die in der Tat nicht gehabt. Die schlechte Laune war erst durch die höchst unangenehme Unterhaltung mit Missy und Abel ausgelöst worden. Beide hatten sich äußerst besorgt gezeigt und hatten wissen wollen, inwieweit Shirley Chavez und ihre Tochter vor den finsteren Machenschaften bestimmter Rechtsanwälte sicher seien. Bree war zwar vor Wut fast geplatzt, hatte aber, wie sie hoffte, doch noch ganz souverän reagiert. Beide wussten schon von der Bestechung. Und beide waren misstrauisch, und das zu Recht. Der einzige Lichtblick war, dass Payton zwangsläufig gewaltige Probleme mit der Anwaltskammer bekommen würde, falls Shirley weiterhin nur ein paar Leuten von ihrem neuen Reichtum erzählte. Die Schattenseite des Ganzen war natürlich, dass auch sie, Bree, in den Schlamassel mit hineingezogen werden konnte, einfach weil sie mit den Beteiligten in Verbindung stand. Abel dachte ohnehin schon, sie hänge in dieser üblen Geschichte mit drin! Wie konnte er nur!
»Grrr!«, sagte Bree und schlug die Hände vors Gesicht. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen.
Sie blickte aus dem kleinen Fenster ihres Büros. Es ging direkt auf den Friedhof, der durch den Regen noch trostloser wirkte als sonst. Von den Bartflechten tröpfelte eintönig Wasser auf die Grabsteine. Der Magnolienbaum ließ die Zweige hängen und sah wie ein missmutiges Gespenst aus. Bree warf ihre Autoschlüssel auf den Schreibtisch und lehnte sich zurück. »Fangen wir mit Lindseys Fall an: Der ist am zeitsensibelsten. Ich habe heute mit zwei Zeugen gesprochen. Erstens mit Madison Bellamy, von der ich einen Hinweis bekommen habe, wie man die
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