Anwaltshure 4
eingeschlagen und würde von einer Schleife gehalten. Von dieser Schleife nun ging eine Schleppe aus, die eine Handbreit länger war, als der Saum und dem Ganzen einen leicht majestätischen Touch gab. Zum Bedecken meiner nackten Schultern trug ich eine Stola aus dem Stoff des Kleides. Dazu trug ich lange, weiße Abendhandschuhe und ein goldenes Täschchen. Mein einziger Schmuck bestand aus Diamantohrringen und einer Diamantbrosche, die ich zweckentfremdet ins Haar gesteckt hatte.
Als ich an einer der mit Spiegelelementen versehenen Wände vorüberkam, durfte ich mir zufrieden eingestehen, eine gute Wahl getroffen zu haben.
Ich erkannte schon beim Beschreiten der gewaltigen Freitreppe zum Ballsaal den einen oder anderen Kunden. Doch wie immer unterließ ich jegliche Geste, die auf dieses Erkennen hätte hindeuten können.
Nur beim Gastgeber und seiner Frau, die oben an der Treppe standen, um die Gäste zu begrüßen, bedankte ich mich dafür, dass man bei diesem Ereignis an mich gedacht hatte, woraufhin er mir zuflüsterte: »Ich denke immer an dich!«
Dass ich mich über diesen Satz freute, gestehe ich gern. Ich folgte den anderen Gästen und der deutlicher werdenden Musik. Der Ballsaal war bereits derart mit Gästen angefüllt, dass ich mich ernsthaft fragte, in welche Ecken man all diejenigen packen wollte, die noch draußen standen …
Selbst meine kleine Schleppe musste ich wieder und wieder hochnehmen, damit niemand darauf trat. Gerade, als ich mich leicht bückte, den Stoff aufnahm und mich wieder aufrichtete, stieß ich gegen einen anderen Gast. Unwillkürlich wandte ich mich um, damit ich mich entschuldigen konnte. Da blickte ich in ein Paar olivenfarbener Augen. Ein eisiger Schauer floss über meine Arme und meinen Rücken. Meine Nackenhaare stellten sich auf und eine Gänsehaut überzog meine Arme. Vom Pochen in meinem Unterleib ganz abgesehen.
Wir standen nur da und starrten uns an.
In irgendeiner nebelhaften Ferne nahm ich wahr, dass die Musik erst eine kleine Pause machte und dann zu einem neuen Walzer anhob. Ohne ein Wort hielt Derek mir seine Hand hin. Ich ergriff sie ohne zu zögern und ließ mich von ihm auf die Tanzfläche führen. Mit einem Mal vergaß ich meine Schleppe, die dicht gedrängt Tanzenden, die Musik, ja meine gesamte Umwelt. Meine Augen galten nur ihm. Meine Hände berührten seine, und meine Füße folgten seinen Schritten. Warm und fest lagen seine Finger um meine und drehten mich ruhig und entschlossen in einem langsamen Kreis. Wie wundervoll seine Lippen waren, wie schön seine vollen Brauen über den seidigen Wimpern!
Und dann traf mich der Gedanke mit voller Wucht: Er war verheiratet. Irgendwo hier im Saal war Laura. Seine Laura. Wartete vielleicht auf ihn, dass er sie als Nächste auf die Tanzfläche führte. Wir kannten uns … In meinem Kopf begann eine mächtige Faust in Richtung der Schläfen zu pochen. Von Atemzug zu Atemzug schien mein Gehirn förmlich anzuschwellen, bis die Musik zu einer unerträglich dröhnenden Disharmonie wurde.
Ohne nachzudenken, machte ich mich von Derek los, raffte meine Schleppe und eilte, andere Gäste beiseite stoßend, nach draußen. Doch selbst auf dem riesigen Balkon, meine Stola fest gegen die eisige Nachtluft um die Schultern gezogen, endete der Kopfschmerz nicht. Ich fürchtete, mich jeden Moment übergeben zu müssen. Mein Herz raste und mein Magen hatte sich zu einer kleinen, glühenden Kugel zusammengezogen. Mühsam konzentrierte ich mich auf die eiskalte Luft, die in meine Kehle strömte, presste meine Hand gegen die steinerne Balustrade und konnte doch kaum meine Beherrschung zurückerlangen.
Er war verheiratet. Wieso hatte ich das nur so spät begriffen? Wie hatte ich mir so lange etwas vormachen können? Ich hätte längst die Notbremse ziehen müssen, hätte ihm aus dem Weg gehen müssen. Job und Leidenschaft trennen. Spätestens seit ich von seiner Verlobung erfahren hatte …
In mir tobte ein Kampf. Jede Faser meines Seins brannte für ihn und doch konnte es für ihn und mich keine Zukunft geben. Mochte Laura schwanger sein oder nicht. Es durfte nicht sein!
In diesem Moment wollte ich nur noch weg. Aber welchen Ort ich mir auch vorstellte, er versprach nicht die Erlösung von jenen Gedanken, die mich wie finstere Dämonen heimsuchten. Denn es waren alles Orte ohne ihn.
»Warum bist du eben davongelaufen?«
Ich drehte mich nicht um. Glaubte sogar für einen Moment, meinen Herzschlag anzuhalten. Meine Augen fixierten
Weitere Kostenlose Bücher