Apartment 16 - Nevill, A: Apartment 16 - Apartment 16
schließlich ganz auf.
Seth fragte sich, ob er rufen sollte, sozusagen um die Dunkelheit herauszufordern, aber er fand nicht die Kraft, den Mund zu öffnen. Tatsächlich hatte er das deutliche Gefühl, jemand würde ihn von irgendwo unten beobachten. Und dieses jähe Gefühl der Verletzlichkeit drängte ihn dazu, den Briefschlitz zu schließen, aufzuspringen und wegzulaufen.
Er konnte sich nicht dazu durchringen. Außerdem war er kaum noch in der Lage, klar zu denken. Er war furchtbar müde. Vollkommen erschöpft, fühlte sich schwerfällig und verwirrt, sogar verfolgt. Er war einunddreißig, aber diese Nachtschichten setzten ihm so zu, dass er sich wie einundachtzig fühlte. Das waren eindeutige Anzeichen für Schlafmangel, wie sie jeden Nachtarbeiter befielen. Aber noch nie in seinem Leben hatte er Halluzinationen gehabt. Da war jemand in Apartment Nummer sechzehn.
»Mein Gott.«
Eine Tür ging auf. Da drinnen. Irgendwo im Dunkeln, wo er nichts erkennen konnte. Auf halben Weg den Korridor entlang. Sie schnappte auf und öffnete sich weit. Zuerst quietschte es, dann knallte sie gegen die Wand.
Er bewegte sich nicht und wagte nicht zu blinzeln. Starrte einfach nur hinein und wartete darauf, dass etwas aus dem Dunklen trat.
Aber da konnte er lange warten. Nichts geschah, es blieb ruhig.
Doch die Stille hielt nicht lange an. Jetzt hörte er wieder etwas. Etwas kam leise näher, er spürte es.
Es breitete sich von dem unbekannten, dunklen Bereich der Wohnung her aus. Eine Art Brausen, so ähnlich wie das Rauschen in einer großen Muschel. Wie ein weit entfernter Wind. Er hatte das eigenartige Gefühl, dass zwischen ihm und dem Ende des Flurs eine unglaubliche Distanz lag. Irgendwo dort hinten war etwas, aber er konnte überhaupt nichts erkennen.
Der Lufthauch schien sich direkt vor ihm zu verdichten, schien etwas mitzubringen. Mit sich zu führen. Die Andeutung einer Stimme, aus weiter Ferne, aber trotzdem deutlich vernehmbar. Eine Stimme, die klang, als wäre sie über einen Kilometer entfernt. Nein, da waren noch mehr Stimmen. Aber die Schreie waren so weit weg, dass er die Worte nicht verstehen konnte.
Er zog den Kopf etwas zurück und suchte nach einer Erklärung für seine Entdeckung. Stand dort drinnen ein Fenster offen? Lief da ein Radio oder ein Fernsehapparat mit leise gestelltem Ton? Unmöglich, die Wohnung war nicht bewohnt.
Der Wind wehte jetzt näher heran, und die Stimmen wurden lauter. Sie wurden deutlicher, je näher der Lufthauch kam. Und obwohl noch immer nichts Genaues auszumachen war, klangen sie jetzt klarer. Sie erfüllten ihn erst mit Unbehagen, dann mit Entsetzen.
Das waren Rufe von gequälten Kreaturen. Jemand schrie. Eine Frau? Nein, das konnte nicht sein. Jetzt kam es näher, und es klang eher wie ein Tier, erinnerte ihn an einen Pavian, den er einmal im Zoo gesehen hatte, der zwischen knallroten Lippen sein schwärzliches Zahnfleisch entblößt und gelbe Zähne gebleckt hatte.
Der Schrei wurde von dem kalten Wind davongetragen und ersetzt durch einen jammernden Chor von Leidenden, die in ihrem Elend miteinander zu wetteifern schienen. Eine hysterische Stimme, unerbittlich, in vollkommener Panik, näherte sich rasend schnell und übertönte alle anderen, die jetzt zurückzuweichen schienen wie Meereswellen, bis die neue Stimme so weit im Vordergrund war, dass er sie beinahe verstehen konnte.
Er ließ den Briefschlitz zuschnappen, sprang zurück und versuchte, wieder zur Besinnung zu kommen. Sein Puls raste, ihm schwindelte. Mit dem Ärmel seines Pullovers wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Sein Mund fühlte sich an, als hätte er Staub inhaliert.
Am liebsten wäre er sofort aus dem Haus gerannt, nach Hause, um sich hinzulegen. Damit dieses irritierende Gefühl und diese eigenartigen Wahrnehmungen aufhörten, die ganz offensichtlich vom Schlafmangel herrührten. Es konnte nur daran liegen, ganz bestimmt.
Er rannte die mit Teppichen bedeckten Treppen hinunter, mit jedem Schritt zwei Stufen, eilte durch den Westflügel des Gebäudes zur Rezeption im Erdgeschoss. Er lief hastig an seinem Pult vorbei und verließ das Haus durch den Vordereingang. Draußen auf dem Gehweg blieb er stehen und sah nach oben. Er zählte die weißen, gemauerten Balkone, bis er im achten Stockwerk angelangt war.
Alle Fenster waren geschlossen, nicht mal gekippt, sondern völlig verschlossen, das konnte man an den weißen Rahmen deutlich erkennen. Und die Fenster von Apartment Nummer sechzehn
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