Apartment in Manhattan
richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Kopfkissen. Ihr Kinn ist trotzig nach vorne geschoben. Kein gutes Zeichen.
Ich beobachte sie. Mir fällt auf, dass alles an ihr rund ist. Ihr dunkles, toupiertes Haar. Ihre großen, dunklen Augen, die sie zur Feier des Tages mit zu viel Mascara und Eyeliner angemalt hat. Ihr Gesicht, mit dem kreisrunden Rouge auf den Wangen. Ihre Arme, ihr Körper, ihr Hintern – alles an ihr ist elliptisch. Ich habe Bilder von ihr als junges Mädchen gesehen, und sie war immer recht mollig gewesen, aber hübsch. Ich frage mich, ob ich eines Tages auch so aussehen werde.
Ich versuche, mich als ältere Frau zu sehen. Ich versuche, mich als ältere Frau mit der Figur meiner Mutter und Will als Mann zu sehen.
Es gelingt mir nicht.
Will wird, wenn er älter ist, zweifellos eine Mischung aus Harrison Ford und Michael Douglas sein. Und ein Mann, der so aussieht, wird niemals eine Frau haben, die wie meine Mutter aussieht.
Ich schüttle den Gedanken ab und wende mich wieder meiner Mutter zu.
„Ma, woher weißt du überhaupt, dass Will fort ist? Ich habe dir das nicht erzählt!“
Weil ich wusste, dass du so reagieren würdest
.
„Mary Beth hat es gesagt. Sie macht sich Sorgen um dich.“
„Mary Beth sollte sich lieber Sorgen um sich selbst machen. Sie hat genug Probleme mit Vinnie, der sie nur ausnutzt.“
„Sie haben zwei Kinder, und sie haben sich in der Kirche das Eheversprechen gegeben“, erwidert sie scharf.
„Aber das heißt noch lange nicht, dass sie ihn zurücknehmen sollte!“
Meine Mutter sagt nichts, nimmt nur eine Wolldecke aus dem Schrank und legt sie auf mein Bett.
„Ma, es ist Juli“, rufe ich und halte sie auf. „Unter dem Ding werde ich mich zu Tode schwitzen.“
„Die Nächte sind kühl.“
„Aber nicht unter null Grad!“ Ich lege die Decke wieder zusammen.
Sie zuckt mit den Schultern, als wolle sie sagen, dass es mein eigener Fehler sei, wenn ich erfriere.
„Er ist nicht der Richtige für dich, Tracey.“
„Will?“ Ich seufze. „Ma, woher willst du das wissen? Du kennst ihn doch kaum.“
„Ich kenne ihn gut genug. Er ist nicht der Richtige. Er macht dich nicht glücklich.“
„Vinnie macht Mary Beth auch nicht glücklich. Warum sollte sie also bei ihm bleiben?“
„Sie ist verheiratet und hat Kinder.“ Für meine Mutter, stockkatholisch wie sie nun mal ist, ist das Grund genug. „Mach nicht denselben Fehler, wie deine Schwester, Tracey. Heirate jemanden, der dich liebt.“
„Das habe ich vor. Ma …“
Sie kommt näher und beginnt zu flüstern. „Heirate jemanden, der dich mehr liebt, als dir recht ist. Heirate jemanden, der dich mehr liebt, als du ihn liebst. Denn dann wird er dich immer wie eine Königin behandeln. Er wird immer für dich da sein. Und du wirst es lernen, ihn auch zu lieben.“
Was ist denn das für ein Ratschlag?
Oje.
Als ich sie ansehe, wird mir klar, dass sie aus Erfahrung spricht.
„Also hast du … Dad nicht geliebt, als ihr geheiratet habt?“ frage ich erstaunt.
„Ich habe ihn geliebt. Natürlich habe ich ihn geliebt. Aber er hat mich nicht verrückt gemacht, so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Doch er war total in mich verliebt.“ Sie schüttelt den Kopf. „Dachte, ich wäre das Beste, was ihm je passiert ist. Ich konnte gar nichts falsch machen.“
„Das kannst du auch heute noch nicht.“
Sie lächelt und piekst mit einem Finger gegen meinen Brustkorb. „Jetzt hast du es verstanden.“
Ehrlich gesagt nicht.
Aber ich lasse sie in dem Glauben, dass sie mir etwas zum Nachdenken gegeben hat.
Der Rest meines Besuches fliegt nur so vorüber. Wir verbringen den Sonntagmorgen in der Kirche und essen mittags Spaghetti bei meinen Großeltern, obwohl es draußen dreißig Grad sind und es so schwül ist, dass die Gesichter von allen feucht und gerötet sind und jedem das Haar am Kopf klebt. Das Gute daran ist, dass es zu heiß zum Essen ist. Heißt, ich kann mich weiter an meine Diät halten.
Sonntagabend schauen wir uns Saras und Joeys neues Haus an, dann trinken wir bei Tante Mary Kaffee und essen selbst gemachte
pizzelle
. Wir alle. Die ganze Familie. Mir ist zuvor nie aufgefallen, dass in Brookside immer die komplette Familie Besuche macht.
Bis zu dem Augenblick, in dem ich wieder in dem Bus Richtung New York sitze, bin ich nicht eine einzige Minute alleine. Es ist ein schwüler, grauer Tag – das scheußlichste Unabhängigkeitstagwetter, an das ich mich überhaupt erinnern kann. Das sollte es
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