Apfeldiebe
tranchieren. Jeder bekam ein zweites Stück, einzig Max verzichtete.
» Kein Mensch wird uns hier finden«, sagte Max, als wolle er seinen Kameraden den Appetit verderben. »Und aus eigener Kraft schaffen wir es auch nicht. Wir werden hier einer nach dem anderen verhungern. Selbst, wenn wir uns gegenseitig auffressen«, Timi drehte unweigerlich den Kopf in die Richtung, in der Rufus’ Grab lag, »wird es keiner schaffen. Wir werden hier verrecken, lederriemenfressend verrecken!« Max packte einen Stein und schleuderte ihn durch den Raum. Alex spürte einen Lufthauch, unmittelbar darauf krachte das Geschoss an die Wand.
» Spinnst du?!«
» Ach, es ist doch wahr. Ihr tut so, als gäbe es eine richtige Chance. Aber ich hab da hinten gespürt, dass es die nicht gibt. Niemals. Einer nach dem anderen wird den Löffel abgeben!« Max schrie jetzt, sprang auf. »Zuerst vielleicht Timi und dann das Mädchen. Danach dürfte ich dran sein. Und du, Alex, du kannst dann noch unsere Knochen abnagen und weiter schön Wasser schöpfen und davon träumen …«
» Hör auf!« Timi hielt sich die Ohren zu. Er weinte, er wollte nichts von diesem Sterben hören! Aber sein großer, starker Bruder wollte und auch dem liefen jetzt die Tränen übers Gesicht.
»… und das alles nur wegen dir und deinem bescheuerten Ritterspielchen! Du bist schuld! Du hast uns in dieses Loch gelockt! Ich wollte das alles gar nicht! Am liebsten …«
» Es gibt doch jemanden, der weiß, wo wir sind.« Alex sprach leise, mehr zu sich als zu den anderen. Timis Weinen stockte und Max vergaß, was er am liebsten tun würde; hatten sie das eben richtig verstanden?
» Was hast du gesagt?«
Eigentlich hatte Alex niemandem etwas von Leni erzählen wollen, aber mittlerweile schien ihm alles egal. Sollten sie es doch wissen und sich an diese kleine Hoffnung hängen, besser jedenfalls, als so wie eben herumzuschreien und mit Steinen zu werfen. Lieber eine sich kaum erfüllende Hoffnung als gar keine. Max nahm Alex die Lampe aus der Hand und leuchtete ihm ins Gesicht.
» War das jetzt eben ein Witz?« Alex schüttelte ohne aufzusehen den Kopf. »Willst du uns verarschen und noch mehr quälen?«
» Nein, will ich nicht. Und es stimmt: Leni weiß, wo wir sind.« So, jetzt wussten sie Bescheid.
» Und wieso ist dann noch niemand hier?«, lautete logischerweise Max’ nächste Frage. »Wieso hören wir nichts? Wieso gräbt da draußen keiner nach uns?«
» Weil Leni wahrscheinlich noch nichts gesagt hat«, antwortete Alex. Jetzt musste er den anderen auch die ganze Wahrheit sagen. Er sah in die Gesichter seiner Freunde, drei Augenpaare, die an seinen Lippen hingen, bereit, jeden Funken Hoffnung aufzufangen, einzusaugen und damit ihre Lebensgeister zu nähren.
Alex erzählte ihnen vom letzten Abend in seinem Kinderzimmer, von Lenis Bitte, mitkommen zu dürfen und vom Nein des großen Bruders. Und Alex erzählte auch von seiner Drohung der Schwester gegenüber. »Wenn sie uns verrät, werde ich jede Nacht heimlich in ihr Bett pinkeln und alle werden denken, dass sie es war.«
» Na und, das ist doch nicht so schlimm«, sagte Timi und musste an sein eigenes Bett denken, in dem sich selbst heute noch ab und an am Morgen ein ziemlich großer Fleck befand, vor allem, wenn er am Abend zuvor heimlich Max und seine Computerspiele beobachtet hatte. Klar, Mama schimpfte und Papa sah ihn dann an, als sei er mordsmäßig enttäuscht von seinem Jüngsten, aber das verging schnell wieder. »Leni wird es bestimmt verraten!« Sie musste!
» Genau. Außerdem ist sie ein Mädchen und Mädchen halten nie ein Versprechen. Sie machen früher oder später immer den Mund auf«, dozierte Max und versuchte dabei überzeugend zu klingen, überzeugend und stark. Er wollte an diese Hoffnung glauben! Auch, wenn er sich eben noch über diese ganze Sinnlosigkeit ausgelassen und sich scheinbar mit dem eigenen Ende abgefunden hatte, wollte er hoffen! Er wollte leben, wie jedes der Kinder hier! Er hatte zwar Angst vor dem Danach, davor, was das Mädchen über ihn und sein Verhalten hier unten erzählen würde, aber jede Demütigung, jede Strafe schien ihm plötzlich besser als ein langes und von Spinnenlawinen begleitetes Ende hier unten.
» Mann, Alex«, sagte Kasi, »wieso hast du das nicht schon früher gesagt?« Kasi krabbelte an Timi vorbei zu Alex. Er wollte ihn in den Arm nehmen, sich freuen, aber Alex schob ihn zur Seite.
» Leni wird den Mund halten«, sagte er. »Sie hat solche
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