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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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abschlägig. Die Hütte lag direkt an einem Forstweg, der vielen Autofahrern als Abkürzung diente, einer hätte mit Sicherheit die Kinder beobachtet. Es existierte also nur eine wirklich plausible Erklärung für das spurlose Verschwinden der Kinder: sie hatten hier unten am Wanderparkplatz ein Auto bestiegen. Seiler blieb stehen. Ja, das musste es sein. Aus welchem Grund auch immer, hatten sich die fünf auf den Weg gemacht und am Parkplatz dann ein Auto bestiegen. Ob zufällig oder vorher geplant – es spielte vorerst keine Rolle.
    Seiler sah zurück. Sollte er mit seiner Vermutung richtig liegen, ergab eine Suche hier unten kaum noch Sinn. Das Einzige, was ihm dann noch zu tun bliebe, wäre der Weg zur Polizei. Über das Gesicht des alten Mannes huschte ein Lächeln. Mit Sicherheit fand sich in Wittlekofen noch ein Polizist, heute Morgen jedenfalls stand noch ein blau-weißes Fahrzeug am Sportplatz. Er könnte heute mit dieser ganzen Geschichte abschließen und morgen früh schon zu Mona-Lisa aufbrechen!
    » Hasso. Wo steckst du wieder? Komm, wir sind fertig hier.« Aber von Seilers Begleiter keine Spur. »Hasso?« Seiler steckte sich zwei Finger in den Mund, versuchte seinen Pfiff, der früher einmal die Gläser im Schrank zum Klirren gebracht hatte. Aber der weitgehend zahnlose Mund eines Mittsiebzigers erwies sich als unbrauchbar. »HASSO!«
    Der Rüde tauchte hinter der Wand aus Holz auf, die bereits ein ganzes Stück hinter dem alten Mann lag. Er zeigte sich, wedelte mit dem Schwanz, aber statt reumütig zu seinem Herrchen zu rennen, ihn anzustupsen und so um Verzeihung zu bitten, verschwand er sofort wieder hinter dem Stapel.
    » Was hast du denn jetzt wieder?« Seiler warf der Ruine Steinegg einen letzten Blick zu und machte kehrt.
    Am Ende der den Weg säumenden Wand aus sorgfältig aufgeschichteten Hölzern fand er seinen Hund. Hasso steckte kopfüber in Brennnesseln, wedelte mit dem Schwanz. Abwechselnd scharrte er und zerrte an einem Fund, den Seiler vom Wegrand aus nicht identifizieren konnte. Wahrscheinlich ein hier verendetes Stück Wild, schätzte Seiler, der wusste, welch magische Anziehungskraft Verwesungsgeruch auf seinen Freund ausübte. Fast noch stärker als die Hinterlassenschaften der Hundedamen am Wegesrand. Die leckte er wenigstens nur mit entrücktem Blick und angelegten Ohren ab, bei etwas Verwestem oder – Achtung, der größte anzunehmende Unfall – in einem frisch mit Jauche gedüngten Feld, kannte Hasso aber kein Halten mehr. Folgte er sonst auch aufs Wort, übernahm bei solchen Anlässen einer dieser Urzeitinstinkte das Kommando über den Hund und zwang diesen, sich in dem Fund zu wälzen. Seiler hasste das Ergebnis solcher Aussetzer seines Hundes, durfte er diesen doch anschließend baden, was nicht verhinderte, dass Hund und Haus drei Tage lang nach Verwesung oder Jauche rochen.
    In der Hoffnung, Hasso durch schnelles Eingreifen vom erwarteten Wälzen in seinem Fund abzuhalten, packte Seiler das Tier am Halsband und zog es zurück. Aber statt den Kadaver eines von Maden und Würmern zerfressenen Hasen oder Fuchses zu finden, lag da nur ein schwarzer Sack, ein Rucksack genauer. Einer seiner Trageriemen hatte sich an einem etwas aus dem Holzstoß ragenden Stamm verfangen, weshalb Hasso den Fund nicht einfach hatte nach draußen ziehen können. Er hatte es zwar versucht, aber bis auf ein paar Löcher im Stoff nichts ausrichten können.
    » Was interessiert dich denn so an diesem Ding?«, fragte Seiler. Hasso gehörte nicht zu den Hunden, die sich in Säcke, Katzen oder Kinder verbissen. Auch jetzt nicht, wie Seiler mit einem Blick zurück feststellte: Hasso saß auf dem Weg und die Aufregung, welche den Schweif des Rüden kontrollierte, warf Kieselsteine nach rechts und nach links. Seiler richtete sich auf, wollte den Rucksack schon Rucksack sein lassen und den Heimweg antreten, als er sich an etwas erinnerte: Die fünf vermissten Kinder – jedes Einzelne von ihnen hatte einen Rucksack auf dem Rücken getragen. Natürlich, zweifelsfrei hatten dies seine alten Augen an jenem Morgen nicht identifizieren können, schon gar nicht aus dieser Entfernung, aber als er jetzt noch einmal den Gänsemarsch der Ausreißer in Gedanken vor sich sah, trug jeder von ihnen etwas auf dem Rücken. Rucksack oder Buckel.
    Er löste den Fund von seinem Anker und trug das schwarze Ding auf den Weg; Hassos Aufregung stieg.
    » Was ist denn? Stinkt doch gar nicht.« Von seinem Hund umtanzt, brachte

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