Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
Vom Netzwerk:
stand. Sicher, er hätte sich auch neben Max gemalt, aber irgendwie fand er diese sich so ergebende Bildkomposition viel besser: die beiden Kleinen in der Mitte und zwischen ihm und Max ein gehöriger Abstand. Alex zeichnete sich, wie vom richtigen Leben vorgegeben, ein ganzes Stück größer als Kasi und auch sein Bild bekam ein Gesicht, Augen, Haare, einen Mund. Als er den Stift zu Letzterem ansetzte, zögerte er jedoch. Sollte sein Alex nun lächeln oder die Mundwinkel nach unten ziehen? Alex spürte die Blicke der anderen auf seiner Hand ruhen, zögerte noch eine Sekunde und zog dann schließlich einen geraden Strich quer unter seine Augen. Alex trat zurück, betrachtete sich und nickte, ja, so passte es; kein falscher Optimismus, aber auch kein Trübsinn. Diesem Gesicht konnte alles widerfahren, Gutes und Schlechtes und es schien auf alles vorbereitet. Ja, so war es gut.
    Die letzte große Arbeit der Kinder schien beendet. Schien, denn ohne sich mit langen Erklärungen aufzuhalten, griff Kasi erneut nach dem Stift und neben Alex stand nach wenigen Strichen ein weiteres Kind, ein Kind ohne Mund und ohne Augen.
    » Was soll’n der Scheiß jetzt wieder?«, fragte Max. »Hä? Was soll das da?« Max starrte auf den Neuankömmling an der Wand und verstand als Einziger im Raum nicht, wen Kasimir da soeben verewigt hatte.
    » Das ist Rufus«, sagte Alex. »Stimmt’s?« Kasi nickte.
    » Rufus?« Max hatte den Schwarzen längst vergessen. Rufus. Hieß nicht der Kerl so, der sich an seine von der Decke baumelnde Beute gehängt und so die Decke zum Einsturz gebracht hatte? Ja, genau! Rufus, der Typ, dem sie all das hier zu verdanken hatten! Der Typ, der sich anschließend aus dem Staub gemacht und sie allein zurückgelassen hatte! Und der stand jetzt zusammen mit ihm für alle Ewigkeit an dieser Wand?! Nein! Max wusste, sobald die Verwandlung abgeschlossen sein würde, verschwand dieser Schwarze! Ich werde mit acht Steinen gleichzeitig auf sein Abbild einschlagen und es von der Wand tilgen, es mit Spinnweben überdecken. Nichts soll an diesen Feigling erinnern, nichts!
    » Gut, jetzt sind wir komplett«, sagte Alex und trat einen Schritt zurück. Da hatten sie sich nun also alle ein letztes Mal versammelt: Max, daneben Timi, Hand in Hand mit Kasimir. Es folgten er selbst und schließlich Rufus. Kasi hatte auch dessen Namen daruntergeschrieben. Fünf Strichmännchen, fünf Namen. Ein Ende. »Jetzt kann mein Vater den da einsperren«, Alex Kinn zeigte auf die Wand. »Jetzt kann er zuschlagen und hoffentlich bricht er sich dabei die Finger und …«
    » Kannst du endlich mal mit deinem Gejammer aufhören!« Max fuhr herum und stieß Alex beide Handflächen gegen die Brust. Alex taumelte zwei Schritte zurück und Max folgte ihm. »Glaubst du eigentlich, du bist der Einzige, der ein Arschloch als Vater hat?! He? Los, sag schon: glaubst du, bei mir war alles toll?«
    Alex schüttelte instinktiv den Kopf, wollte etwas erwidern, aber Timi kam ihm zuvor. Der Jüngste packte Max am Arm und zog ihn zurück.
    » Hör auf!«, schrie er und die Wände warfen seine Worte immer wieder zurück. Selbst der Raum mit den Fässern wollte sie nicht haben. »Papa hat uns nie geschlagen! Papa ist gut!«
    » Von wegen!« Max verlor das Interesse an Alex, drehte sich um und packte Timi an beiden Schultern. Er schüttelte ihn und spürte, wie vier weitere Gliedmaßen unter seiner Haut bebten, wie sie nach draußen wollten, zu diesem dummen kleinen Timi. Sie wollten ihm die Augen öffnen und die Ohren. »Weißt du, was dein ach so toller Papa mit mir macht, immer wieder, seit ich denken kann?« Timi schluchzte. »Er will, er will …« Plötzlich ging Max vor seinem kleinen Bruder in die Knie, Tränen rannen ihm übers Gesicht und die Anstrengung, die ihm dieser Moment abverlangte, schüttelte die Schultern des Jungen. Instinktiv streckte Timi die Hand nach seinem Bruder aus, wollte trösten. Aber er konnte nicht, die Kraft dazu fehlte ihm. Max log, wenn er Papa ein A-Loch nannte, jede andere Möglichkeit stand Äonen außerhalb seiner Vorstellungskraft. Max erzählte Lügen – wenn Timi auch nicht wusste warum, so wusste er doch, dass dem so war. Und einen Lügner durfte man nicht trösten, konnte man gar nicht, wollte man sich nicht an dessen Lügen beteiligen. Timis Hand fiel zurück.
    » Er … er zwingt mich, sein Ding anzufassen!« Max spuckte diese Worte aus wie ein nach Knoblauch schmeckendes Gummibärchen. Er würgte es seinem Bruder vor

Weitere Kostenlose Bücher