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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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trugen das Geschoss. »Ich will raus! Ich will zu Mama!« Der Junge sah längst nicht mehr mit den Augen; Tränen rannen ihm übers Gesicht, vermischten sich mit Schweiß und tropften als Salzgemisch von Timis Kinn. Seine wunden Hände sahen für ihn. Mit diesen erkannte er die vielen ineinander verkeilten kleinen Türen, die dieses Gefängnis verschlossen. Aber sie mussten doch zu öffnen sein! Es musste einen Weg hier heraus geben! Weg mit diesen Steinen, weg, und auch diesen und den hier, alle sollten sie weg und wenn er sie am Schluss auch nur noch mit aus Knochen bestehenden Händen aus dem Weg räumen sollte, sie mussten weg!
    Plötzlich spürte er eine Hand. Alex riss Timi zurück. Einen Moment glaubte Timi an einen Erwachsenen, der ihn retten kam, aber es blieb nur ein kurzer Moment, noch nicht einmal eine Sekunde währte dieses Glück. Mit seinem Blut beschmierte Steine rieselten aus Timis Händen, er fiel zurück und in Alex’ Arme.
    » Komm, Timi, hör auf. Wir sind doch da, Timi.« Alles wird gut , lag auf Alex’ Zunge, aber er ließ diese Hoffnungsworte dort liegen. Nichts würde gut, wusste er, gar nichts. Er drückte den Kleinen an sich, Timi wehrte sich, wollte weiterarbeiten, er musste, aber Alex hielt ihn fest. »Pssst, Timi, pssst.« Ganz fest drückte er den Jüngsten an sich, wiegte ihn hin und her und redete auf ihn ein, wie ein Vater, der das in einem Albtraum gefangene, schreiende Kind mitten in der Nacht aus seinem Bett hebt und zurückholt, zurück in die warme, beschützte und sorgenfreie Wirklichkeit. Alex hielt Timi fest und er hielt sich an ihm fest. Tränen liefen auch ihm wieder übers Gesicht. Es tat so unendlich gut, den Kleinen an sich zu pressen und als Timi endlich die Gegenwehr aufgab und nun auch seine Arme um den Älteren schlang, bahnten sich auch dessen Angst und Verzweiflung einen Weg. Alex heulte los, schluchzte, und die Worte, die er Timi weiter zuflüsterte, Worte, die beruhigen und beschützen sollten, zerrissen, rieselten auf die Steine und verschwanden, ohne beruhigt oder beschützt zu haben. Timi spürte Alex, wie die Angst dessen Körper schüttelte und er spürte die Tränen, die dieser auf seiner Schulter vergoss und ganz von allein löste sich eine Timihand und begann, Alex zu streicheln. Timis Finger fuhren durch Alex’ Haar und sollte sie irgendwann einmal jemand finden, würde sich dieser Jemand über die parallel verlaufenden Blutspuren in diesen Haaren wundern. Timi streichelte Alex.

    Max konnte diese beiden Weicheier keine Minute länger mehr mit anzusehen und ertragen. Wie in einem dieser billigen Filme, dachte er, Filme, die unter der Woche im Privatfernsehen liefen und deren einzige Aussage Dummheit , vermischt mit sehr viel Schleim hieß, knieten die beiden eng umschlungen da oben auf dem Berge, ein Liebespaar kurz bevor es der Schlag traf. Max riss sich von diesem ihn abstoßenden Anblick los, nahm Kasi den Fackelstift aus der Hand und stieß den Jungen zur Seite.
    Ohne sich allzu viele Gedanken über die Wirkung zu machen, die sein Bildnis auf künftige Entdeckergenerationen haben sollte, schmierte Max ein Strichmännchen an den Fels. Sein Pendant stand mit erhobenen Armen neben dem kleinen Bruder, obwohl dieser sich bereits ziemlich weit links gemalt hatte, in der Annahme, dass sie dem Alter und der Körpergröße entsprechend nebeneinanderstehen sollten und Timi nun einmal ganz am Rand zu stehen hatte. Aber Max wollte nicht den ganzen Rest der Ewigkeit neben Kasi stehen! Vielleicht malte der sie dann heimlich auch noch Hand in Hand! Bloß nicht! Also quetschte er sich links neben Timi, obwohl der Untergrund hier schon nicht mehr so glatt und einladend lächelte. Aber was machte das schon. Dieses Bild wird eh niemals irgendwer anschauen, es wird zusammen mit uns hier unten sterben und weder von dem scheiß Bild noch von uns wird die dämliche Welt da oben jemals wieder etwas hören oder sehen. Max, der nur im Unterricht – und dies gezwungenermaßen – Stift oder Pinsel in die Hand nahm und für seine Werke selten mehr als ein mangelhaft erntete, kratzte mehr als dass er malte seinen Körper auf die Leinwand.
    » Ich würde sonst was geben, wenn ich wieder nach oben könnte«, hörte er Alex auf dem Liebesberg in Timis Schulter schluchzen. Ein Arm, viel zu lang, aber egal. Dann hatte er eben einen langen und einen kurzen Arm, wer wollte das später noch nachprüfen? »Ich würde sogar freiwillig jeden Tag zu meinem Alten gehen und mich an den

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