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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Geröll nach draußen kämpfen und – jetzt leuchteten Max’ Augen, jetzt strahlte sein Gesicht in einer Art religiöser Verzückung – er würde zu Vater krabbeln.
    » Ich wünschte mir, mein Alter hätte mal irgendwas mit mir unternommen, also außer mir Kopfnüsse zu geben und mich wegzusperren.« Alex befreite sich aus Timis Umarmung, wischte sich das nasse Gesicht an seinem T-Shirt ab und legte den Kopf auf beide Arme. Er betrachtete den Schutt, auf dem er saß, starrte durch diesen hindurch. Nur ein einziges Mal mit Vater etwas spielen, einen Bogen bauen vielleicht. Letztes Jahr hatte er einmal heimlich Kasimir und dessen Vater im Wald beobachtet. Die beiden saßen auf der kleinen Lichtung, auf die sich Alex manchmal zurückzog, wenn er allein sein wollte. Aber an diesem Tag saß Kasi mit seinem Vater bereits auf Alex’ Moos und dieser Vater hatte mit seinem Sohn gesprochen. Er hatte auf Vögel gezeigt und Kasi deren Namen verraten. Er hatte Pflanzen genommen, zwischen den Fingern zerrieben und sein Kind daran riechen lassen und Alex hatte aus seinem Versteck heraus auf diese Idylle gestarrt, als säße er vor einem Fernseher, in dem gerade eine Dokumentation von einem bisher unentdeckten Volksstamm irgendwo im Urwald lief. Hätte sein eigener Vater sich doch ein einziges Mal die Zeit für so einen Nachmittag genommen. Sicher, Alex’ Vater wusste bestimmt weder die Namen all der Vögel noch irgendwas über Kräuter und Gräser. Aber irgendetwas wusste er und Alex sehnte sich bis zum heutigen Tage danach, dass sein Vater das, was er wusste, seinem Sohn erzählte und erklärte. Zeit mit ihm verbrachte. Aber der konnte es offensichtlich nicht, weder mit ihm noch mit Leni, die aber sperrte er wenigstens nicht in den Keller.
    Zum Schluss hatte Kasimir den Kopf auf die Schenkel seines Vaters gelegt, der ihn gestreichelt und dazu eine Geschichte von Waldgeistern und solchem Zeug erzählt – der Moment für einen geordneten Rückzug. Vielleicht, überlegte Alex jetzt, vielleicht hatte er Kasi wegen dieses Nachmittages nicht gemocht, ihn geärgert und sich über ihn lustig gemacht, wann und wo immer sich eine Gelegenheit dazu bot. Denn Kasi besaß wie es aussah genau das, was er selbst sich wünschte: einen Vater, der sein Kind liebte und diese Liebe zeigen konnte. Alex hob den Kopf und betrachtete Kasi, der noch immer unterhalb der Schutthalde stand, unbeweglich und allem Anschein nach von einer Situation, in der ein Achtjähriger zuerst durchdrehte und anschließend den ungekrönten Anführer der kleinen Truppe, den stolzen Ritter, trösten musste, total überfordert. Kasis und Alex’ Blicke trafen sich und Alex konnte für einen kurzen Moment die Gedanken des anderen lesen: Bist du jetzt wieder normal?, fragten sie. Geht es wieder? Aber dieser übernatürliche Augenblick des Gedankenlesens wanderte vorüber, weiter, zu einem würdigeren Empfänger, vor allem zu einem Empfänger, der noch viele Jahre und nicht nur ein paar Stunden zu leben hatte, Jahre, um diese Gabe einzusetzen und zu nutzen. Kasis Blick wandelte sich zurück in einen normalen Blick und Alex rutschte die Halde hinunter.
    Max hatte mittlerweile sein Kunstwerk vollendet – ein seltsam missratenes Abbild seiner selbst. Trotzdem stand er mit hängenden Armen vor diesem Werk und betrachtete es mit einem breiten Lächeln, als sei dieses Bild das Schönste auf der ganzen Welt. Aber wenigstens lächelte Max, dachte Alex und auch Kasi, und Timi, der Alex nach unten folgte, freuten sich, weniger über das Bild als über Max’ Gesichtsausdruck. Wer lächelt und sich über sein Strichmännchen freuen kann, der beißt nicht, der wirft nicht mit Steinen, der macht nicht in die Hose.
    » Sieht gut aus«, sagte Alex. Er trat neben Max und dessen Spinnenmännchen krabbelte umgehend zurück an seinen ihm zustehenden Platz neben Timi. Niemand außer Max durfte es sehen! Sollten sie sich doch an diesem missratenen Trugbild freuen, Max wusste mehr, viel mehr. Und als Einziger hier im Berg wusste er um eine Zukunft! Max reichte Alex den Fackelrest und trat zurück. Sollten sie doch ihre kindischen Bildchen an die Wand kritzeln, er konnte warten, auf seine Verwandlung warten und – Max’ Blick streifte Kasis Arm – er konnte auf seinen Moment warten! Das Leben konnte also doch schön sein, schön und gerecht, ausgestattet mit acht behaarten Beinen und zwei Zangen an einem großen Kopf.
    Leben.
    Alex stellte sein Abbild neben Kasimir und er fand, dass er da gut

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