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Apfeldiebe

Titel: Apfeldiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Tietz
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Situation einzustellen, gab ihm nicht einmal eine einzige Sekunde, um sich umzudrehen. Alex trat Max in die Kniekehle, zeitgleich traf seine Faust Max’ Nierengegend. Max schrie auf, rutschte die Wand herunter. Alex stürzte sich nun auf den, der ihnen dies hier alles eingebrockt hatte. Seine Faust traf das Gesicht dessen, der nichts tat außer stehlen und lügen und schikanieren. Alex hatte heute zusammen mit Kasi den Schwarzen ausgegraben und wieder vergraben, sie hatten den Brunnen entdeckt und dabei Todesangst ausgestanden. Sie hatten etwas getan, während Max nur faul herumlag. Und er hatte ihnen den letzten Wasservorrat gestohlen!
    Alex wollte seine Anschuldigungen herausschreien, seine Kehle aber, so trocken, dass man mit ihr einen Teich hätte entwässern können, brachte gerade noch ein »Du« heraus, dann musste er husten. Seine Finger entspannten sich, er stützte sich auf Max’ Brust ab, der schlug ihm den Arm weg, drückte den hustenden ehemaligen Freund von sich herunter. Er sah sich nach einer Waffe um, einem Stock, vielleicht ein … Sein Blick blieb an der Taschenlampe hängen. Er rannte zu ihr hin, packte sie, drehte sich um – und Alex’ Faust traf ihn mitten ins Gesicht. Und noch einmal. Und ein dritter Treffer. Dieser brachte Max zu Fall. Von den üblichen Schutzreflexen befreit, schlug Max der Länge nach auf den Lehmboden. Blut lief ihm aus der Nase, Max versuchte etwas zu sagen, lallte, wie Alex’ Vater am Wochenende meistens lallte und auch seine Arme taten ganz offensichtlich nicht das, was ihr Besitzer von ihnen erwartete. Zuletzt plumpsten sie neben Max in den Staub, die Lampe rollte zur Seite.
    Alex stand vor dem Besiegten, rang nach Luft – ein Boxer nach der neunten Runde. Auch ihm lief etwas Warmes übers Gesicht. Max’ Schläge hatten die gerade verheilende Augenbraue erneut aufplatzen lassen. Sei’s drum.
    » Und wo ist jetzt Kasis Flasche?« Aber Max antwortete nicht. Selbst wenn er gewollt hätte – in seinem Kopf drehte sich alles, die Wände dieses Raumes tanzten und Alex bestand nicht mehr nur aus einem Alex, sondern aus dreien, drei durchsichtige Körper, die absolut synchron das Gleiche taten, sich übereinanderlegten und wieder verrutschten und … Max schloss die Augen. »Wo die Flasche ist, will ich wissen!« Alex stieß Max die Fußspitze in die Seite. Jammern.
    » Sie, sie liegt nebenan!« Timi stellte sich vor seinen Bruder. Und senkte den Kopf. »Max hat sie ins Klo geworfen.«
    » Ist noch was drin?«, fragte Alex, obwohl er seinen Allerwertesten für ein Nein verwettet hätte. Und wie erwartet schüttelte Timi den Kopf. Alex wollte etwas sagen, aber ein weiterer Hustenanfall machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er räusperte sich, versuchte auszuspucken, der zähe Faden aber wollte und wollte sein Zuhause nicht verlassen. Er klammerte sich an Alex’ Lippe, bis dieser den Handrücken zu Hilfe nahm. Er wischte ihn an seiner Hose ab.

22 Ich hab dich lieb

    Schade, dass sie auf diesem Bild nicht lächelte.
    Gernot Seiler stand nach seinem ersten Ausflug dieser Nacht vor Mona-Lisa. Seine Fingerspitzen berührten das Bild, aber anders als in all den Nächten zuvor, folgte er heute nicht sofort nach dieser flüchtigen Berührung Hassos Fiepen. Seiler nahm stattdessen das auf dem Fernseher stehende Bild, schaltete die Leselampe ein und setzte sich. Hasso kratzte an der Tür.
    » Bin ja gleich wieder bei dir.«
    Es war schon eine seltsame Sache mit dieser Erinnerung . Man glaubte, wenn man etwas Wichtiges erlebte, dass man dies nie und nimmer würde vergessen können, selbst nicht bis zum hundertsten Geburtstag (Gott behüte!), und dann vergaß man doch, jeden Tag ein ganz kleines bisschen. Die Erinnerung war wie eines dieser antiken Mosaike: am Tag des Erlebens fehlte kein einziges Steinchen. Sie leuchteten um die Wette, in Farben, so lebendig, dass man beim Sich-Erinnern meinte, alles noch einmal zu erleben, zusammen mit all den Gefühlen, Berührungen und Gerüchen, die dieses Erlebnis seinerzeit umgaben. Geräusche kehrten zurück, ja selbst die Wärme, die der alte Ofen hier damals bei Mona-Lisas erster Umarmung ausstrahlte, konnte Seiler bis heute spüren. Aber die winzigen glasierten Mosaiksteinchen hielten nicht besonders gut an dieser Erinnerungswand. Jeden Tag fiel eines davon zu Boden, je weiter man sich vom Erlebten entfernte auch immer mehr, und dies machte es verdammt schwierig, die aufgelesenen Steine wieder an die richtigen Stellen zu kleben.

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