Apfeldiebe
allen Anstand vergaß. Er stürmte in den Raum, seine Taschenlampe konzentrierte sich ganz kurz auf Timi, dann schwenkte sie auf den schlafenden Max. Timi sprang viel zu schnell für einen angeblich soeben erst wach Werdenden auf die Beine, versuchte, sich Alex in den Weg zu stellen, der aber stieß den Achtjährigen einfach zur Seite und stand nun vor Max’ Lager.
» Hör auf, hier den Schlafenden zu spielen«, brüllte Alex. Timi hielt sich die Ohren zu, entdeckte Kasi im Gang zum Fässerraum und rannte zu dem hin. »Hast du mich verstanden?!« Alex stieß Max die Fußspitze in die Rippen.
» Was? He, lass den Scheiß.« Max drehte sich auf den Rücken, schützte die Augen vor dem grellen Licht. Aber Alex wollte sich nicht länger für dumm verkaufen lassen. Max hatte den einzigen beiden, die etwas für die Befreiung der kleinen Gruppe taten, also ihm und Kasi, die letzten Tropfen Wasser gestohlen! Er hatte nicht darum gebeten, er hatte sie sich nicht etwa verdient, er hatte sich einfach genommen, was ihm als allerletztem hier zustand!
» Wo ist die Wasserflasche?« Max wollte sein Spiel noch immer nicht aufgeben. Einen verschlafen am Boden Liegenden schlägt man nicht, so sein Kalkül, nicht einmal Alex, dessen Faust doch sonst recht locker saß.
» Welche Flasche denn? Was soll der ganze Lärm eigentlich? Habt ihr nichts Besseres zu tun? Geht doch wieder in euern Sandkasten und buddelt noch ein paar von euern schönen großen Löchern …«
Max wusste in dem Augenblick, in dem die Worte seinen Mund verließen, dass er das Falsche gesagt hatte. Wer hier lag und schlief, der konnte nichts von diesem Loch da vorn wissen! Alex starrte ihn an, die Taschenlampe begann zu zittern.
» Timi, komm her!«, schrie Max, der kleine Bruder aber bewegte sich nicht. Er hatte Angst, Angst, dass Max’ Lügen und Gemeinheiten zu einem Unglück führten. »Komm her oder es setzt was!« Was wollte der Kleine bei dem Mädchen? Hatte sich jetzt alles und jeder gegen ihn verschworen?
» Du schwules Stück Scheiße!«, flüsterte Alex.
Der Tritt traf Max völlig unvorbereitet, obwohl der ganz genau wusste, dass er sich soeben selbst verraten hatte und mit solch einer Reaktion hatte rechnen müssen. Die im Großen und Ganzen mehrheitlich entspannten Bauchmuskeln des Jungen federten den Tritt seines Freundes kaum ab, einzig Max’ Fettpanzer verhinderte, dass ihm sofort die Luft wegblieb. Er krümmte sich vor Schmerzen, trotzdem wog dieser Schmerz nicht annähernd so schwer wie Alex’ Worte.
» Ich bin nicht schwul!« Max sprang auf, beide Fäuste vor der Brust. »Du sollst mich nicht so nennen, du, du …«
» Eine fette, schwule Schwuchtel bist du. Und ein Dieb noch dazu. Ein schwuler Dieb. Pfui!« Alex spuckte Max vor die Füße. »Und jetzt rück die Fla …« Max’ Faust beendete diesen Satz vor seiner Vollendung. Sie traf Alex am Kinn, dessen Kopf flog zur Seite, die Taschenlampe aus seiner Hand und Kasi trat automatisch zwei Schritte zurück. Max nutzte das Überraschungsmoment, setzte Alex nach und trat ihm gegen das Schienbein. Alex stürzte, rollte sich über den Boden und konnte so den folgenden Tritten ausweichen. Statt sich aber zum Ausgang zu rollen und das Weite zu suchen, wählte er die dunkelste Ecke des Raumes. Die am Boden liegende Taschenlampe blendete Max einen Augenblick, eine Sekunde, die für Alex reichte, um wieder auf die Beine zu kommen und sich dem Kampf zu stellen. Und Max wollte kämpfen! Niemand durfte ihn so nennen! Niemand durfte ungestraft Schwuchtel zu ihm sagen! Und das wusste Alex ganz genau und sagte es trotzdem, da, schon wieder! Also wollte er die Fresse poliert bekommen, er wollte es so und er sollte es auch haben!
Max griff im Stil einer führerlosen Dampfwalze an: den Kopf gesenkt, beide Fäuste im Anschlag, rollte er auf Alex zu. Vergessen die Trinkflasche, vergessen die gemeinsame Gefangenschaft in diesem Berg, vergessen auch die vielen Stunden, die sie da draußen miteinander verbracht hatten. Für beide vergessen.
Max’ Rechte schnellte nach vorn, doch das Ziel verschwand plötzlich! Alex, der wusste, dass man diese heranrollende Gewalt niemals würde aufhalten können, warf sich auf den Boden und Max in den Weg. Ehe der recht verstand, was sein Opfer tat, hing seine Fußspitze bereits an Alex’ Hüfte, der Rest von Max aber wollte weiter, immer noch weiter, knallte gegen die Wand, vor der doch eben noch Alex gestanden hatte. Und der ließ Max keine Zeit, sich auf diese neue
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