Apocalypsis 1 (DEU)
Brust. Maria schickte ein kurzes Gebet zur Heiligen Jungfrau und erwartete den Tod.
Und der Tod kam.
Aber nicht zu ihr, sondern zu dem Rothaarigen. Maria hörte nur das Ploppen und sah eine blutige Blume auf der Brust des Mannes blühen. Mit einem starren, verwunderten Ausdruck sackte der Mann vor Maria zusammen, getroffen von einem Schuss in den Rücken. Hinter ihm stand eine Frau. Und hinter der Frau erkannte Maria Peter. Er stürzte zu ihr hin und half ihr auf.
»Maria! Bist du verletzt?«
Immer noch unter Schock schüttelte sie den Kopf. »Der Koffer!«, stammelte sie.
Peter nahm ihr den Koffer ab, der von zwei Schüssen zerbeult, aber ansonsten unversehrt war. Peter half ihr auf die Füße. Sie zitterte.
»Komm, wir müssen hier verschwinden!«
»Wer ist die Frau?«, flüsterte Maria.
»Das ist Alessia Bertoni vom israelischen Geheimdienst. Den Rest erkläre ich dir unterwegs.«
LXXV
17. Mai 2011, Nekropole, Vatikanstadt
K ardinal Menendez hatte Gott verloren. Nicht erst in den stickigen Tiefen der Nekropole, in denen er seit Stunden sich selbst verfluchend herumirrte. Auch nicht erst, seit er seine Kirche und sich selbst an einen Mann namens Crowley und eine namenlose dämonische Organisation verkauft hatte. Nein, er hatte Gott schon vor langer Zeit verloren, wie einen geliebten Talisman, den man jahrelang mit sich herumgetragen hat, bis er so selbstverständlich zu einem gehörte, das man ihn vergaß und seinen Verlust erst bemerkte, wenn es längst zu spät war. Kardinal Menendez hatte Gott verloren, irgendwo in dem Gewebe der Macht, das den Vatikan wie ein unsichtbares Labyrinth durchzog. Jenes Geflecht aus Intrigen, Gefälligkeiten und verschwiegenen Kriegen, in dem er sich so lange mit großem Geschick bewegt und sich eingebildet hatte, dass er allein sich darin niemals verirren würde. Dass er die Fäden selbst in der Hand habe. Dass er auserwählt sei.
Dabei hatte der Kardinal übersehen, dass die Fäden in diesem Gespinst der Macht nur so trieften von einem Gift, das bei der kleinsten Berührung die Seele zersetzte. Wie eine Spinne, die ein unglückliches Insekt verdaute und nur eine entleerte Soutane in Schwarz oder Purpur zurückließ als tückischen Köder für ihr nächstes Opfer.
Wann und wo genau er Gott im kurialen Machtgefüge verloren hatte, hätte der Kardinal nicht sagen können, denn in der Welt der Kurie war Gott ein so allgegenwärtiges und täglich beschworenes Etikett in Worten und Bildern, ein geschütztes Patent, eine so eingeführte und milliardenfach erfolgreiche Marke, dass der Kardinal wie schon viele vor ihm den Fehler begangen hatte, die Verpackung mit dem Inhalt zu verwechseln. Als er den Verlust Gottes schließlich bemerkte, empfand der Kardinal zunächst nur Ärger, denn er glaubte zu diesem Zeitpunkt damals schon, so etwas wie ein Anrecht auf Gott zu besitzen. Als Kardinal. Als Kandidat auf das höchste Amt der Kirche. Aber wo auch immer Gott war – er ignorierte die Wut des Kardinals und blieb verloren.
Allerdings hatte der Kardinal auch nicht lange nach ihm gesucht. Er empfand den Verlust Gottes zunächst als so wenig schmerzlich wie den Verlust eines Feuerzeugs. Also machte er genau so weiter wie zuvor. Alles lief bestens. Bis zu dem Tag, als Franz Laurenz zum Papst gewählt wurde und der Kardinal niemand hatte, dem er seine Wut, seine Verzweiflung und seinen Selbsthass entgegenschreien konnte. Niemand, den er verantwortlich machen konnte. Niemand, der ihn noch erlösen konnte.
Mit diesen Erinnerungen an Scham des Verlustes irrte Kardinal Menendez keuchend und trotz der Kühle schwitzend durch die engen Gänge der vatikanischen Katakomben, vorbei an den Grabnischen links und rechts, den sorgfältig aufgeschichteten Gebeinen und den lateinischen Inschriften. Die Luft war feucht und stickig, ließ sich kaum atmen. Das Licht der wenigen Deckenlampen reichte nur wenige Zentimeter in die Dunkelheit und verstärkte das Gefühl entsetzlicher Verlorenheit. Während Kardinal Menendez durch die verwinkelten Gänge hetzte und seine Eitelkeit und seine Gier verfluchte, spürte er, dass Gott auch ihn längst verloren hatte und ebenso achtlos auf ihn verzichten konnte. Das machte den Kardinal wütend.
»Ich habe dich geliebt!«, schrie er in das Dunkel der Katakomben. »Ich habe dir mein Leben geopfert. Du hast mich auserwählt! Dann steh mir jetzt auch gefälligst bei!«
Aber Gott schwieg. Keuchend sackte Kardinal Menendez auf einer Stufe zusammen und überlegte zum
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