Apocalypsis 1 (DEU)
den Himmel, die Katzen auf der Piazza Argentina verkrochen sich in die antiken Ruinen, und die Vögel in den Parks verstummten. Während im Petersdom ein Knabenchor die Messe mit einem gregorianischen Choral einläutete, legte sich draußen beklemmendes Schweigen über die Stadt. Für einen langen, dunklen Moment hörte die Welt auf, sich zu drehen. Die über siebentausend Journalisten aus aller Welt vergaßen die Papstwahl und richteten ihre Kameras nach oben, als ob dieses seelenlose astronomische Ereignis ein Zeichen göttlichen Wirkens sei. Als ob Gott persönlich klarstellen wollte, was er von dieser Papstwahl hielt.
Doch mit mechanischer Präzision endete das Naturschauspiel bereits nach neunzehn Minuten wieder. Das Licht kehrte nach Rom zurück und damit auch die unerschütterliche Zuversicht der Römer an die Ewigkeit ihrer Stadt. Die Kameras senkten sich wieder, als seien sie enttäuscht darüber, dass Gott keine medienwirksame Sintflut geschickt habe, und die Menschen, die sich auf dem Petersplatz zusammendrängten, hofften auf einen neuen Papst, der die Kirche ins 21. Jahrhundert und in eine bessere Welt führen würde. Und manch einer unter ihnen hoffte womöglich, dass sich die Prophezeiung des Malachias nicht erfüllen und dieses Konklave nicht der Anfang vom Ende der katholischen Kirche sein würde.
1274 hatte Papst Gregor X. festgelegt, dass sich das Kardinalskollegium solange con claudere gemeinsam einzuschließen hatte, bis ein neuer Papst gewählt war. Um am Kardinalskollegium teilnehmen zu können, durfte ein Kardinal das achtzigste Lebensjahr noch nicht erreicht haben. Kirchenrechtlich konnte zwar jeder männliche Katholik zum Papst gewählt werden – aber das war nur eine theoretische Möglichkeit, da die Wahl allein unter den abgeschotteten Kardinälen stattfand.
Das Gebot der Abschottung erforderte inzwischen enorme Sicherheitsmaßnahmen. Neben der Gefahr eines terroristischen Anschlags galt es zu verhindern, dass Informationen über die Papstwahl nach außen durchsickerten. Abhörspezialisten der italienischen Polizei hatten unter Leitung von Oberst Bühler die Sixtinische Kapelle und das Gästehaus Santa Marta auf elektronische Wanzen und hochempfindliche Mikrophone abgesucht, unter Teppichen, in Stuhlpolstern, Wasserleitungen und Glühbirnen. Die gesamte Umgebung wurde auf Lasermikrophone geprüft, die noch aus 400 Metern winzige Vibrationen von Fensterglas und anderen Oberflächen messen konnten. Während des Konklaves galt für die beteiligten Kardinäle striktes Handy- und Computerverbot. Ebenso verboten waren Simonie genannte Schmiergeldzahlungen und Wahlkampf. Bühler hatte im Gästehaus und in der Sixtinischen Kapelle Störsender installieren lassen, die jede Kommunikation per Handy unmöglich machten. Die größte Gefahr, dessen war sich Bühler bewusst, ging jedoch von Spionen innerhalb des Vatikans aus. Zwar drohte jedem, der die Abläufe im Konklave an die Öffentlichkeit trug, die Exkommunikation, aber Bühler wusste so gut wie jeder andere Vatikan-Insider, dass es immer wieder undichte Stellen gab.
Nach der gescheiterten Operation der vergangenen Nacht galt ohnehin allerhöchste Alarmbereitschaft. Spezialisten verschiedener internationaler Geheimdienste durchsuchten die Sixtinische Kapelle und die umliegenden Gebäude fieberhaft auf versteckte Minibomben. Doch weder die Hunde noch die modernsten elektronischen Sprengstoff-Suchgeräte schlugen an. Das amerikanische Militär stellte ein neuartiges Gerät zu Verfügung, das Boden und Wände von Gebäuden mit einer Neutronenquelle bestrahlte und das Antwortspektrum an Gammastrahlen analysierte. Aber auch nachdem die Geräte auf Quecksilber kalibriert worden waren, schlug keines von ihnen Alarm.
»Kamera drei mal auf Kardinal Kotoński in der zweiten Reihe. Was ist mit dem?«
»Sieht aus, als wäre er eingeschlafen, Herr Oberst.«
»Können Sie sehen, ob er atmet?«
»Moment. … Positiv, Herr Oberst. Der Kardinal atmet.«
Urs Bühler verfolgte die Messe aus der Einsatzzentrale der Schweizergarde. Von seinem Platz vor der Monitorwand aus überblickte er das Innere der Basilika, den Petersplatz, die Sixtinische Kapelle und das Gästehaus. Seit Leonies Befreiung wirkte der Schweizer wie ausgewechselt: energetisch, aufgeladen, zu allem entschlossen, furchtlos. Trotz des Schlafmangels der letzten Tage, trotz des Todes von Rahel Zeevi. Oberstleutnant Steiner registrierte, dass Bühler seine Dienstwaffe inzwischen immer bei
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