Apocalypsis 3.03 (DEU): Der Plan. Thriller (Apocalypsis 3 DEU) (German Edition)
ruhigen israelischen Siedlung auf palästinensischem Gebiet mit ausreichend Wasser, gepflegten Gärten und kleinen Geschäften. Der Mann, den Hanson mitsamt seiner Familie in aller Stille niedergemetzelt hatte, hieß Shimon Kohn. Ein häufiger Name in dieser Stadt, und bereits Hansons vierter Kohn auf der Liste. Wie es aussah, der Richtige.
Es klingelte an der Wohnungstür. Ohne Eile erhob sich Hanson, warf einen Blick durch den Türspion und öffnete. Draußen im Flur wartete ein blasser, weiß gekleideter Junge.
»Das Licht sei mit euch, Meister«, sagte Hanson und verbeugte sich tief. Der Junge trat ein, ohne den Gruß zu erwidern. Mit ihm wehte der Geruch von Baldrian und Zimt herein, wie der Staub der Wüste, und erfüllte im Nu die ganze Wohnung. Nachdem Hanson die Tür wieder geschlossen hatte, zog der Junge sich einen dünnen Plastikoverall mit Kapuze über, den Hanson ihm reichte. Er wirkte dabei wie ein ganz normales, vielleicht etwas zu ernstes Kind, das sich verkleidete. Der Junge watete durch die Blutpfützen und sah sich die Wohnung gründlich an. Wie ein Elektriker, der den Sicherungskasten sucht. Er kniete vor Shimon Kohns abgeschnittenem Kopf nieder und sah ihm in die erloschenen Augen, als erwarte er noch eine Antwort.
»Hat er geredet?«
»Nein, Meister. Er hat zugesehen, was ich mit seiner Frau und seinen Kindern gemacht habe, aber er hat die ganze Zeit geschwiegen.«
Raymond nickte, als habe er nichts anderes erwartet.
»Zeig mir, was du gefunden hast.«
Hanson reichte ihm eine kleine Bleistiftzeichnung, die er auf einer Kommode neben einer Reihe Familienfotos entdeckt hatte. Sie zeigte den Mann mit seiner Familie und einer weiteren Frau am Rande. In der Zeichnung trug Shimon Kohn ein Amulett um den Kopf wie ein Stirnband. Das Medaillon in der Mitte zeigte das alchemistische Symbol für den Stein der Weisen.
»Er könnte es also sein, Meister.«
»Wo ist das Amulett?«
Hanson schüttelte den Kopf. »Ich hab die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt.«
Der Junge sah sich die Zeichnung genau an und wanderte mit ihr durch die besudelte Wohnung.
»Es ist die einzige Zeichnung in der ganzen Wohnung«, sagte er, als er seinen Rundgang beendet hatte. »Also wird niemand aus der Familie sie gemacht haben. Das hat ein Erwachsener gezeichnet. Das Papier wirkt neu, die Kohlestriche sind nicht verwischt. Diese Zeichnung ist erst kürzlich angefertigt worden. Von wem wohl?«
»Von dieser Frau am Rand, Meister?«
Der Junge reichte Hanson die Zeichnung zurück.
»Finde sie.«
»Und was ist mit all den anderen Kohns?«
»Finde diese Frau, Hanson«, sagte der Junge mit einer Stimme so sanft und nachdrücklich, wie ein Luftzug eine Tür zudrückt. »Sie wird uns zu dem führen, was ich suche.«
XVI
19. Juli 2011, Sant’Anna dei Palafrenieri, Vatikanstadt
Nacht, Gewölk und Dunkelheit,
verworrenes Chaos dieser Welt,
das Licht erscheint, der Tag erhebt sich,
weichet! Christus naht.
So soll, was in uns dunkel ist,
was schwer uns auf dem Herzen liegt,
aufbrechen unter deinem Licht
und sich öffnen, dir, Herr und Gott.
Dir, Christus, Herr und Gott, samt dem Heiligen Geist, dem Tröster,
sei Lob und Dank,
jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.
Der Hymnus des Prudentius begleitete ihn nun schon sein ganzes Leben. Franz Laurenz liebte die Klarheit und die Poesie der fast zweitausend Jahre alten Verse dieses frühchristlichen Dichters, den bis ins Mittelalter jedes Schulkind kannte. Im lateinischen Original entwickelten die Verse, fand Laurenz, sogar einen glockengleichen Klang, der den Körper beim Beten bis in jede Faser mit Hoffnung und Kraft anfüllte. In seinen dunkelsten Stunden, aber auch in Momenten der kritischen Selbstbetrachtung, der Verzagtheit, und vor wichtigen Entscheidungen suchte Laurenz Trost und Kraft in diesen Zeilen.
Er kniete in einer Bank der Kapelle Sant’Anna dei Palafrenieri, eines barocken Kirchenbaus, dessen Außenmauern die Grenze des inzwischen hermetisch abgeriegelten Vatikanstaates bildeten. Oberst Steiner hatte vier Schweizergardisten abkommandiert, damit Laurenz ungestört beten und sich auf seine Ansprache vor den Kardinälen vorbereiten konnte, die bereits wenige Schritte entfernt auf ihn warteten.
Er hatte die Sant’Anna-Kirche in seiner Amtszeit so gut wie nie besucht. Nun erst bemerkte er, dass der Grundriss der Kirche ein Achteck bildete, eine Form, die ihn seit Wochen verfolgte und tief in sein Leben eingegriffen hatte. Für einen Moment erschien ihm der
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