Apocalyptica
verloren. Da war es sicher ein Leichtes, auch noch die letzte Schwelle zu überschreiten. Nach allem, was der Samaelit in zu Gemmingens Geist gelesen hatte, war es das Naheliegendste.
Langsam gewöhnten sich Midaels Augen an die Umgebung. Die Zelle, in der er sich befand, maß weniger als vier Quadratmeter und verfügte nur über eine Pritsche, die in der Wand eingelassen war und ein Loch in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes, das als Abort diente.
„Fast wie zu Hause“, dachte der Samaelit und verzog das Gesicht zu einem Lächeln, obwohl ihm eigentlich nicht nach Späßen zumute war. Aber es traf zu. Wie seine Brüder war er ein Asket und brauchte nichts außer dem, was er am Leibe trug, um dem Herrn zu dienen. Weltlicher Besitz bedeutete ihm nichts, was ihn von den Sterblichen im Dienste der Kirche unterschied. Er ließ sich diesen letzten Gedanken noch einmal durch den Kopf gehen. Jedes Wort hatte einen schalen Beigeschmack, alles wirkte so schrecklich falsch und lächerlich. Allwissenheit war allein Gott vorbehalten, und nun wusste er auch, warum das gut so war. Sein Leben und das seiner Schwestern und Brüder war eine Lüge. Er hatte es in zu Gemmingens Geist gelesen. Sie waren nur Konstrukte. Künstlich geschaffen, eine Mischung menschlicher Begierde nach Hoffnung und vorsintflutlicher Technologie. Die Erkenntnis verursachte ihm Kopfweh. Er konnte die gesamte Tragweite seiner Entdeckung gar nicht erfassen. Sein Geist beschützte sich selbst und breitete einen gnädigen Schleier über alles.
Wenn er nicht das war, das er all die Jahre zu sein geglaubt hatte, was war er dann? War er am Ende nicht genauso ein Monster wie die Traumsaat? Was unterschied ihn von ihr? Er war ein Werkzeug. Eine Tötungsmaschine, der man ein bisschen Hirn gelassen hatte, damit sie den Eindruck behielt, einen freien Willen zu haben. War es das Bisschen freier Wille, das ihn von einem Dämon im Dienste des Herrn der Fliegen unterschied?
Kapitel 5
6. August 2092
Veitstanz-Virus als simpler Herpes entlarvt – Wissenschaftler geben vorbehaltlich Entwarnung
Wissenschaftler des Robert-Koch-Instituts (Berlin) fanden heraus, dass es sich beim „Veitstanz-Virus“ um ein simples, wenn auch hochansteckendes Herpes-Virus mit dem Namen Herpes Chorea Varanasi Virus (HCVV) handelt. „Wir werden die Sache schnell in den Griff bekommen“, sagte Prof. Dr. Harald Pschorr, Leiter des 1891 als königlich preußisches Institut für Infektionskrankheiten gegründeten Instituts.
Berlin – In der neuesten Veröffentlichung des Robert-Koch-Instituts heißt es, es handle sich bei dem gefährlichen Veitstanz-Virus um einen mutierten Stamm des humanen Herpesvirus 1 (Herpes Simplex Virus 1). Die durch das Herpes Chorea Varanasi Virus (HCVV) verursachte Krankheit weist Ähnlichkeiten zur Chorea-Huntington-Erkrankung auf, daher auch der Name des neuartigen Virus, unterscheidet sich jedoch in wesentlichen Punkten, so vor allen Dingen durch ihren teilweise schweren Verlauf.
„Wir leben seit Jahrhunderten mit Herpesviren“, bestätigt Prof. Dr. Pschorr und verweist auf die Fakten. Etwa 95% der Weltbevölkerung tragen das Herpes Simplex Virus inaktiv in ihrem Körper mit sich. Schon im Alter zwischen 0 und 2 Jahren findet in den meisten Fällen die Infektion durch Schmier- oder Tröpfcheninfektion statt. Das Virus lagert sich in Nervenknoten nahe der Stelle der Erstinfektion ein und kann dort jahrelang schlummern. Meist aufgrund von Umwelteinflüssen wie UV-Strahlung oder Stress und einem geschwächten Immunsystem wird es reaktiviert.
„Da ist es nicht verwunderlich, dass Länder mit hoher Bevölkerungsdichte und unzureichender Hygiene die Leidtragenden sind“, so Pschorr.
Bislang sind Schätzungen der Weltgesundheitsbehörde (WHO) zufolge weltweit über 50.000 Menschen dem neuen Virus zum Opfer gefallen. Um eine Panik zu vermeiden, wird in den nächsten Tagen ein Notfallplan veröffentlicht, der notwendige Verhaltensregeln für die Bevölkerung festlegt. [lh]
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N achdem Equester von Tübingen das Allerheiligste seiner Em im Himmel zu Nürnberg verlassen hatte, fühlte er sich wie von einer tonnenschweren Last befreit. Er hatte sich nur ungern in die Höhle des Löwen in die Ewige Stadt begeben, um im Namen des Ordens zu sprechen. Die Geschehnisse vor Ort hatten ihm wieder einmal gezeigt, dass Politik nicht seinem Naturell entsprach. Em Susat hatte wenig erstaunt gewirkt, als Equester ihr erzählte, was sich im Konsistorialrat zugetragen
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