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Apocalyptica

Apocalyptica

Titel: Apocalyptica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Graute
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Wäre der Schmerz nicht gewesen, Naphal hätte sein Glück kaum fassen können. Wer auch immer der Fremde war, er hatte ihn gerettet. Wie konnte er da böse sein? Nein, er war sicher ein guter Fremder, soviel war klar.
    Umständlich rappelte der Junge sich auf, bis er wackelig auf zittrigen Beinen stand. Seine Augen hatten sich unterdessen an die Dunkelheit gewöhnt. Er stand am Strand einer ihm unbekannten Küste. Nicht, dass das besonders schwer gewesen wäre. Seine Mutter hatte ihm kaum Gelegenheit gegeben, mehr von der Welt zu sehen als ihre Stadt und die dazugehörige Küstenlinie. Das Boot lag weit oben am Strand, und hinter ihm erstreckte sich eine zerklüftete Felslandschaft mit spärlichem Baumbewuchs und stacheligen Büschen. In der Nähe lagen einige große Felsen, deren Umrisse anders aussahen als die der restlichen. Ein seltsamer Geruch wehte ihm von dort entgegen. Doch im Augenblick interessierte Naphal nur der geheimnisvolle stumme Fremde, der ganz in der Nähe immer wieder etwas vom Boden aufzusammeln schien.
    „Was tust du da?“ Der Junge war immer noch wackelig auf den Beinen, und das Schwindelgefühl wollte einfach nicht weichen. Seine Neugier indes trieb ihn voran und ließ ihn alles andere vergessen. Als er erneut keine Antwort erhielt, stolperte er noch ein paar Schritte hinter dem Fremden her und brach dann vor Erschöpfung in die Knie. Ihm war kalt, und er erinnerte sich wieder an die Zeit auf dem Boot, wo er unter der Plane gelegen und gefiebert hatte. Er hatte gehofft, jetzt, wo der Splitter nicht mehr in seinem Arm steckte, hätte er diesen Teil hinter sich. Offenbar hatte er sich aber getäuscht. Er wollte schlafen, einfach nur schlafen.
    Als Naphal erwachte, war der Himmel ins diffuse Licht einer Sonne getaucht, die sich hinter Wolken verbarg. Er hatte sich zusammengekauert wie ein Welpe und lag in einer Kuhle aus Sand, die ihm einigermaßen Schutz vor dem launenhaften Wind bot, der die Küstengegend durchpeitschte. Im Gesicht spürte er die trockene Hitze eines kleinen Lagerfeuers. Er konnte das Knacken der teilweise noch feuchten Äste hören, und scharfer Brandgeruch biss ihm in der Nase.
    Der Junge fühlte sich immer noch schläfrig, hatte aber den Eindruck, das Schwindelgefühl habe ihn endlich verlassen. Er richtete sich auf und stützte sich, um einen besseren Überblick zu bekommen, auf seinen gesunden Arm. Der Fremde war nicht zu sehen.
    Naphal erhob sich und blickte sich um. Keiner da. Wieder fiel sein Blick auf die Felsen oder das, was er in der Dunkelheit für solche gehalten hatte. Bei näherer Betrachtung wurde dem Jungen schnell klar, dass es sich nicht um Steine handelte. Vielmehr sahen die Gebilde, die mindestens dreimal so groß waren wie er, aus wie Schalentiere. Sie hatten einen beinahe schwarzen Panzer mit roten Flecken und stanken. Als Naphal sich einem der Tiere näherte, konnte er eine Bewegung erkennen, die ihn ins Stocken brachte. Das Ding hatte von seiner äußeren Beschaffenheit her eine große Ähnlichkeit mit der schwarzen Wespe, deren Panzer ihn so schlimm verletzt hatte. Nur war dieses Exemplar hier, das ihm den Rücken zuwandte, größer und irgendwie massiger. Der glänzende Panzer wirkte mit den vielen Unebenheiten aus der Ferne wie ein von Wind und Wetter polierter Stein.
    Langsam näherte sich Naphal und behielt dabei jedes Detail der Kreatur im Auge. Da, wieder eine Bewegung. In einigem Abstand umrundete Naphal den Panzer, um auf die andere Seite zu sehen. Als er die vielfach segmentierte Unterseite des Käfers endlich sehen konnte, bemerkte er die verheerenden Wunden, die offensichtlich zum Tode des riesengroßen Wesens geführt hatten. In einer der größeren Wunden konnte er allerdings trotzdem etwas erkennen, das sich bewegte. Neugierig näherte er sich. Der Käfer musste ein Baby gehabt haben. Nein, viele Babys. Sie krochen überall im Sand und über den Leichnam hinweg und sahen aus wie exakte, aber unfertige Kopien ihrer Mutter. Als Naphal immer näherkam, um die kleinen Käfer besser in Augenschein nehmen zu können, nahmen auch sie Notiz von ihm und bewegten sich erst verhalten, dann immer zielstrebiger auf ihn zu. Der Junge ging in die Hocke, um das Baby vor ihm genauer zu betrachten. Es war eine genaue Kopie der Mutter, allerdings hatte es nur die Größe von Naphals Brustkorb. Es bewegte sich auf sechs dürren Beinen, die zu schwach für den massigen Körper schienen. Kleinere, irgendwie verkümmert wirkende Beine – oder waren es Arme?

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