Apocalyptica
– lagen dicht am Körper an und endeten in scharfen Spitzen. Der in der Mitte gespaltene schwarze Rückenpanzer war mit roten Flecken gesprenkelt, und Naphal war sich nicht sicher, ob all die glänzenden Halbkugeln auf dem gepanzerten Kopf des Käfers Augen waren. Jedenfalls glaubte der Junge, dass der Babykäfer zurückstarrte, während er die Kreatur genauer unter die Lupe nahm. Naphal hörte plötzlich ein tiefes Surren, unterbrochen von einigen hohen Tönen, die beinahe in den Ohren schmerzten, und brauchte einige Zeit, um festzustellen, dass sie von dem kleinen Wesen vor ihm ausgingen. Die anderen Babykäfer begannen jetzt auch, ähnliche Töne auszustoßen, und der Junge fragte sich, ob sie sich wohl unterhalten konnten. Naphal fühlte sich seltsam. Etwas in dem Zirpen und Summen schlug eine Seite in ihm an. Erst jetzt merkte er, dass er geistesabwesend mit der Hand über den Panzer des Babykäfers strich. Erschrocken wollte er die Hand zurückziehen, hielt aber mitten in der Bewegung inne, als er sich die Frage stellte, warum er etwas so Dummes tat.
Ein grober Stoß gegen die Schulter ließ Naphal zur Seite kippen, wo er einen der winzigen Käfer unter sich begrub, dessen noch weicher Panzer unter dem harten Aufprall barst. Mit einem hohen Kreischen fuhr eine Klinge in die Kreatur, die er kurz zuvor noch gestreichelt hatte und trennte den gesamten vorderen Bereich, den Naphal für den Kopf gehalten hatte, vom Rumpf. Mit einem ekelerregenden Schmatzen fiel der Kopf in den Sand, wo sich die Mundwerkzeuge noch einige Zeit weiterbewegten. Wieder vernahm Naphal das elektrisierende Summen, das er in der Nacht zum ersten Mal gehört hatte. Es ging von der Klinge aus, die sich mit tödlicher Präzision durch die Babykäfer schnitt. Innerhalb weniger Sekunden war der Spuk vorbei, und alle Käferkreaturen lagen in weitem Bogen tot auf dem Boden verteilt. Inmitten des Chaos stand eine Gestalt, von der Naphal nur annehmen konnte, dass es sich bei ihr um den Fremden aus der vergangenen Nacht handeln musste. Auf den ersten Blick sah er aus wie ein Engel – nicht, dass der Junge in seinem Leben schon viele von ihnen gesehen hatte. Allenfalls aus der Ferne. Seine Mutter Isabella hielt nicht besonders viel von den himmlischen Boten, doch er hatte Geschichten gehört. Dieser hier passte nicht in allen Details zu diesen Erzählungen. Der Engel war groß, er hielt eine schwere summende Stange mit Klinge in beiden Händen. Seine Kleidung war in keinem besonders guten Zustand, und er schien eine Art Rüstung zu tragen, die eng an der Haut anlag, genauso wie einen Helm, der nur sein Gesicht frei ließ. In den Zügen des Engels konnte Naphal Zorn und so etwas wie Besorgnis ablesen.
„Warum hast du das gemacht?“, fragte der Junge ehrlich entsetzt.
Statt einer Antwort hörte Naphal ein vertrautes Geräusch von oberhalb der Klippen. Fahrzeuge näherten sich. Fahrzeuge, wie sie die Wachen in Cordova nutzten. Sie hatten ihn gefunden.
Als Midael erwachte, fand er sich von völliger Dunkelheit umgeben. Der Boden unter ihm war rau und hart, und die Luft roch nach Schweiß, Urin und Fäkalien. Er bauchte einige Zeit, um sich zu erinnern, was ihn in diese Lage gebracht hatte. Nachdem er mit einer seiner Mächte in den Geist des Konsistorialkardinals eingedrungen war und ihm das erschreckende Einblicke gewährt hatte, war ihm schwarz vor Augen geworden. Ob es jedoch durch die beklemmende Erkenntnis oder äußere Einwirkung seitens der Ratsgarde dazu gekommen war, konnte der Engel sich nicht erklären. Genauso wenig konnte er sagen, wie lange er sich schon an diesem Ort befand oder wo er überhaupt war. Der Samaelit mutmaßte, er sei in einem Kerker innerhalb des Laterans. Am Zustand seiner Zelle, dem Geruch und den sonstigen Begleitumständen erkannte er, dass er nicht mehr nur unter Hausarrest stand, sondern dass sich sein Status aufgrund seiner Tat eher verschlechtert hatte. Vermutlich saß er in einer Todeszelle, was zwar absurd, unter den gegebenen Umständen aber nicht auszuschließen war. Engel konnte man nicht zum Tode verurteilen, das war wider die Gesetze der Angelitischen Kirche. Wenn zu Gemmingen jedoch ein Politikum daraus machen wollte, dann war er sicherlich in der Lage, die Angelegenheit so lange aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten, bis Midael kein Engel, sondern in erster Linie Ab seines Ordens war. Immerhin hatte er keine Flügel mehr und somit das offensichtlichste Merkmal seiner göttlichen Herkunft
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