Apocalyptica
sie gut genug kannte, um in ihren erstarrten Gesichtszügen lesen zu können.
Equesters Einschätzung zufolge hatte seine Kunde aus der Ewigen Stadt einen bereits lange im Herzen gehegten Plan der Em zu voller Blüte heranreifen lassen. Der Pontifex Maximus hatte der Em durch zu Gemmingen mitteilen lassen, er erwarte, dass sie ihre Truppen mobilisiere, um in der finalen Schlacht dem Guten zum Sieg zu verhelfen. Jetzt hielt der Kustos zwar alle notwendigen Siegel und Urkunden in Händen, um ein gewaltiges Heer aufzustellen, nur würde der Marschbefehl, den Em Susat in diesen Dokumenten erteilt hatte, in Roma Æterna sicherlich auf wenig Gegenliebe stoßen.
Seit Wochen war die Stimmung in der Ewigen Stadt angespannt. Teils als Resultat der Ratsversammlung, bei der der Ab der Samaeliten vor den Augen der Mächtigen wegen Hochverrats und tätlichen Angriffs auf Konsistorialkardinal Johannes zu Gemmingen in Ketten gelegt worden war, teils wegen des bevorstehenden großen Ereignisses, auf das man seit Menschengedenken wartete, von dem man sich jedoch erhofft hatte, dass der Tag niemals kommen würde.
Pontifex Maximus Petrus Secundus, Seine Heiligkeit, seit über sechshundert Jahren Oberhaupt der gesamten Angelitischen Kirche und Beschützer der Menschheit, stand auf der Balustrade des Petrusdoms, die dem großen Vorplatz zugewandt war und sonst der Segnung zur Engelsweihe diente, die einmal im Jahr in Roma Æterna stattfand, um die neu auf die Erde gekommenen Engel ihren Scharen zuzuteilen. Seiner Heiligkeit war nichts von seinem Alter anzumerken. Der kleine, sehnige Körper war makellos, beinahe überirdisch schön, und das schlichte weiße Gewand unterstrich noch die natürliche Präsenz seiner Gestalt. Das lange, goldblonde Haar umkränzte ein fein geschnittenes, fast androgynes Gesicht mit strahlend blauen Augen, die einen wachen Verstand erkennen ließen.
Sein Blick glitt über die Masse an Menschen und Engeln, die sich auf dem großen Platz vor dem Dom eingefunden hatte. Flankiert von seinem Beraterstab lauschte er den Trommeln und Hörnern, die die Versammelten zur Ruhe gemahnen sollten. Jahrhundertealte Traditionen zahlten sich aus, und Stille legte sich über die Stadt, als Petrus Secundus das Wort an seine Schützlinge richtete:
„Engel! Templer! Geschwister im Glauben!
Von schweren Sorgen bedrückt, zu monatelangem Schweigen verurteilt, ist nun die Stunde gekommen, in der ich endlich offen sprechen kann.
Der Herr der Fliegen, der Widersacher, wird nicht müde, uns täglich daran zu gemahnen, dass er seine verderbte Absicht, die Menschheit und das Land und alles, was sich darauf befindet, mit Stumpf und Stiel auszumerzen, ernst meint, und nicht zum ersten Mal war sein Bestreben von Erfolg gekrönt.
So vernichtete er einst die Ländereien auf dem afrikanischen Kontinent und ließ kein Leben zurück.
So verwüstete sein ekles Gezücht, die Traumsaat, unsere Ernten, tötete unser höchstes Gut, unsere Kinder, und hinderte uns so am Fortschritt.
So brannte er mit den schrecklichen Fegefeuern fruchtbaren Boden nieder, schränkte unsere Bewegungsfreiheit ein und hinterließ nur unwirtliches Land, das uns immer kostbarer wurde, und so begann der stete Niedergang unserer einst stolzen Nation bis zum heutigen Tage.
Doch nur durch innere Uneinigkeit konnten wir im Angesicht solch schrecklicher Verbrechen gegen alles Leben unterliegen. Die Folgen sind bis heute spürbar. Während sich im Westen die Menschen an scheinheilige Prophezeiungen einer iberischen Sekte klammern, in der Hoffnung, eine imaginäre Lichtgestalt könne ihnen zu neuem Wohlstand verhelfen, sterben im Rest der Welt Millionen Menschen durch Hunger, Krankheiten oder Überfälle dämonischer Ausgeburten. Während wir innerlich zerstritten sind, um unsere Pfründe zu sichern und kleinlich um den Verlust unserer Habe fürchten, zieht über der Welt ein dräuender Schatten auf, der uns in Dunkelheit hüllen will.
Die eitlen Schrottbarone gehen Pakte mit dem Widersacher ein, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Sie verkaufen die Ideale unserer Nation für einen Haufen Plunder, statt ihren inneren Frieden in den Reden der Beginen und Monachen zu suchen, die nur allzu bereit sind, das Wort des Herrn zu ihnen zu tragen. Lieber bluten sie das Volk aus und reden ihm ein, ein Leben unter ihrer Führung sei ein besseres als unter den schützenden Schwingen der Engel. Doch ihr Weg führt nur zu noch schnellerem Untergang. Ihr Weg ist der leichte, der
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