Apokalypse auf Cythera
besonderer Art. Es hätte eine Sturmflutbrandung anhalten können.
»Rufen Sie schnellstens zurück. Anschluß 39 32 64. Ich warte hier.«
»Schon recht, gnädige Frau!«
Der Schirm erlosch. Digen wartete acht Perioden des Kurzzeitmessers. Sie wurde immer ungeduldiger, das Weinglas leerte sie mehr und mehr. Schließlich summte das Koffergerät.
»Es tut mir sehr leid«, sagte die Hafenwache. »Bitte, geraten Sie nicht in Panik.«
Ihr Tonfall war ernst und hoffnungslos. Sie hörte förmlich das Verhängnis aus der Stimme des Mädchens.
»Was ist vorgefallen?« fragte sie beherrscht.
»Wir haben das Boot hinausgeschickt. Die Männer fanden Konna ...«, das Mädchen machte eine Pause, »... er ist tot.«
»Nein. Das kann nicht ...«, flüsterte Digen.
»Wir haben die Polizei verständigt. Bitte, gehen Sie zu ihrer Dienststelle. Ein Kopter wird Sie abholen.«
»Ja, danke!« sagte Digen tonlos. »Danke. Ich werde hingehen.«
Die folgenden Minuten verbrachte sie wie in Trance. Sie stürzte den Rest des Weines herunter, steckte die Schachtel mit dem protestierenden krabbelnden Käfer ein und zündete sich eine Zigarette an, die sie sofort wieder aus dem Fenster warf. Sie zündete sich eine zweite an und verbrannte sich die Finger. Dann setzte sie eine große, dunkle Brille auf, warf eine Jacke über und verließ ihre Wohnung. Zehn Minuten später raste sie in einem Kopter in südliche Richtung. Neben ihr saß nur ein schweigsamer Pilot.
Das schwere Hilfsschiff von Port Calagrana war neben der Jacht festgemacht. Zwei Polizeikopter waren gelandet und schaukelten auf ihren aufgeblasenen Schwimmern in den Wellen. Digen kletterte aus dem dritten Kopter mit Hilfe der Strickleiter an Deck und schob zwei Polizisten zur Seite.
»Lassen Sie mich durch!« sagte sie hart.
Der Schock hatte sie noch nicht voll getroffen. Sie war noch handlungsfähig. Noch hatte ihre Stimme nicht den gefährlichen Oberton naher Hysterie angenommen. Die beiden Männer in ihren unauffälligen Uniformen sahen sie überrascht an.
»Wer sind Sie?« fragte einer.
»Konna Panders Großvater!« sagte sie und schlängelte sich zwischen ihnen hindurch. Sie bohrte einem dritten Wächter, der mitten auf dem Niedergang saß, die Spitze ihres Schuhes in die Nierengegend; der Mann sprang auf und ließ beinahe die halbautomatische Kamera fallen. Digen glitt an ihm vorbei und blieb im Labor stehen. Drei Meter vor ihr lagen die Überreste Konnas.
»Was ist passiert?« fragte sie rauh und taumelte. Sie hielt sich am Niedergang fest.
Einer der nicht uniformierten Männer schaute auf und sagte leise und in höflichem, aber bestimmten Ton:
»Unfall oder Selbstmord. Oder Mord auf komplizierte Weise. Sie haben genug gesehen, Mädchen – gehen Sie wieder an Deck.«
Sie blickte in sein Gesicht. Der blutrote Querstreifen, der die Augen des Mannes wie eine dunkle Maske wirken ließ, glühte vor Erregung. Die silberfarbene Haut wies ihn als Angehörigen der ersten Generation aus. Seine Augen flackerten unruhig.
»Wer sind Sie?«
»Ich bin Rufer Exaspere. Und Ihr Name?«
»Digen Ancyle.«
»Jetzt erkenne ich Sie. Gehen Sie, tun Sie, was ich gesagt habe. Sie haben schon zuviel gesehen. Außerdem behindern Sie die Ermittlungen, zertrampeln Spuren und so weiter. Sind Sie um neun Uhr abends zu erreichen?«
»Ja. In meiner Wohnung.«
»Gut. Ich werde Sie besuchen und Ihnen alles berichten, was wir herausgefunden haben. Es ist noch alles völlig unklar.«
Ihre Finger umklammerten in der Tasche die Schachtel mit dem krabbelnden Käfer.
»Ich glaube, Sie haben recht, Profoß«, sagte sie. »Ich werde warten.«
Exaspere nickte. Digen merkte nicht, daß zwei Männer sie stützten, als sie den Niedergang enterte. Man brachte sie in den Kopter zurück, und kurze Zeit später saß sie wieder an der Stelle, an der alles seinen Anfang genommen hatte.
Konna Pander war tot. Mord?
Der erste Mord seit fast einem halben Jahrhundert. Wirklich Mord?
Der Schock traf sie völlig unvorbereitet, mitten in einer Bewegung. Sie legte die Schachtel mit dem Käfer auf ein Tischchen. Das Tier kam endlich dazu, an dem Blatt zu knabbern. Dann setzte sie sich. Sie zitterte an allen Gliedern. Sie konnte nicht einmal weinen. Konna ... es gab ihn nicht mehr.
Alles, was sie gemeinsam getan hatten und noch hatten tun wollen, fiel ihr ein. Nichts mehr würde davon geschehen.
Die Hälfte ihrer Welt war mit ihm verschwunden. Ein lautloses Weinen schüttelte sie. Sie hatte nicht die Spur
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