Apokalypse auf Cythera
geschult und ausgebildet worden war. Er zog die Schwimmhandschuhe Konnas über, entfernte sämtliche Fesselreste und warf sie über Bord. Er schraubte das Rohr wieder hinein und wischte sämtliche Teile, die er berührt hatte, sorgfältig ab. Dann setzte er das Funkgerät wieder instand und ging langsam rückwärts von der Leiche weg, bis er gegen die Luke stieß.
»Was jetzt?«
Er schaltete das Licht wieder aus, nachdem er eine von Konnas Zigaretten geraucht hatte. Jetzt, als Mörder ohne Absicht, hatte er mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Er konnte sich hier elf Tage lang verstecken, konnte unerkannt durch den Kontinent reisen, konnte zu Adagia zurückkehren oder sich gleich den Sicherheitsorganen stellen.
Zurück aufs Festland! sagte eine Stimme in ihm.
»Wozu?« fragte er laut. Aber während er überlegte, handelte er bereits wieder. Er warf seine Tasche vorsichtig hinunter in das kleine Boot, leerte die Tasche aus, in der er Konnas Dokumente versteckt hatte und schob alle, bis auf die Karte und das Notizbuch, in ein Fach unterhalb der Steuerung, nachdem er sie von Fingerabdrücken gesäubert hatte.
»Also doch: Flucht!« sagte er.
Noch elf Tage! hämmerte sein Pulsschlag, als das kleine Boot durch einzelne Regenschauer wieder dem Land zufuhr. Stapen befestigte das Boot an derselben Stelle, an der es bis vor kurzem gelegen hatte.
Die Karte würde ihn verraten.
Also mußte er eine falsche Spur legen.
Er ging durch menschenleere Straßen und kletterte über Stufen hinauf, auf denen die Regentropfen abprallten. Er kam triefend naß in die Station, setzte sich in eines der ersten Abteile. Nach ihm kamen einige Männer, die wie Fischer aussahen.
Sein Ziel kannte er aus einer der Karten von Adagia.
Die Stadt Psi Aureon.
Sie lag am gegenüberliegenden Ende des Kontinents. Stapen, der ungewollt zum Mörder geworden war, unterdrückte seine Schuldgefühle, die aufkeimende Angst und den Haß auf die Männer von Baudelaire, die ihn hierher geschickt hatten. Er überlegte, was er tun konnte. Noch elf Tage.
Was war wichtig?
Nahrungsmittel für elf Tage. Solange noch niemand den Toten entdeckt hatte, konnte er die Karte Panders benutzen. Wenn man nachprüfte, wo sie zuletzt benutzt worden war, würde man Psi Aureon lesen. Seit siebenundvierzig planetaren Jahren, hatte ihm Adagia stolz berichtet, hatte es unter den fünf Millionen auf Cythera keinen Mord gegeben.
»Nein«, flüsterte er bitter, »dazu mußte erst ich kommen. Ein Fremder!«
Er würde für elf Tage hochwertige Nahrungsmittel kaufen. Dazu einige Flaschen mit Getränken. Keinen Alkohol. Vielleicht eine Decke oder einen Schlafsack. Nein. Das würde ihn verraten. Er sah in der Scheibe sein Gesicht. Der Streifen zwischen Stirn und Kinn erschien ihm wie ein Kainszeichen.
Fünfeinhalb Stunden lang raste der Zug durch die Nacht. Passagiere stiegen ein, andere stiegen aus. Schließlich flüsterten die Lautsprecher, daß die Station Psi Aureon erreicht sei.
Stapen stieg aus.
Sein Kunstlederanzug war inzwischen trocken. Er sah auf eine der vielen Uhren. Weit über Mitternacht. Sämtliche Geschäfte waren geschlossen. Jedes Hotel, das er betrat, würde zu einer Falle werden, weil sich jeder an einen derart späten Gast erinnerte. Besonders dann, wenn jemand den Mord entdeckte und das Fehlen der Karte registrierte.
Stapen verließ die Station und blieb stehen, als er die breite Allee sah, deren Lichter in einer doppelten S-Kurve leicht abwärts führten. Er wußte kaum etwas über diese Stadt, aber er sah links ihre gigantischen Umrisse.
Er ging geradeaus.
Späte Fußgänger begegneten ihm. Er hielt sich in unverfänglicher Entfernung zwischen Licht und Schatten. Er sah keinen einzigen Polizisten oder jedenfalls einen Menschen, der aussah, als erfülle er solche Funktionen. Acht Kilometer weit ging Stapen die Allee hinunter, zwischen alten Wäldern und Maschinen, bis er an den See kam. Er sah im Licht einer Straßenbeleuchtung auf die Karte: ein nierenförmiger See, offensichtlich künstlich angelegt oder Überrest einiger gewaltiger Bombenkrater, umgab die halbe Stadt.
Stapen suchte sich zwischen Büschen des Ufers einen trockenen Platz, zog die Jacke eng um sich und legte seinen Kopf auf die Tasche. Er schlief unruhig und wurde vom ersten Sonnenstrahl geweckt. Er sah auf die Uhr; zu früh, um etwas zu unternehmen.
Der fünfte Tag brach an.
Es war der erste Tag, an dem sie auf ihn Jagd machten.
Gegen neun Uhr handelte er. Er ging in die Stadt,
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