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Apollofalter

Apollofalter

Titel: Apollofalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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würde.
    »Sprich, Erinnerung ... «, entzifferte der alte Mann. »Ja, die Erinnerungen. Wenn wir die nicht hätten. Was wäre der Mensch ohne Erinnerung? Nichts als eine seelenlose Hülle.« Er sah Kilian freundlich mit seinen wässrig blauen Augen an, die entzündet aussahen. Wartete auf Zustimmung, die ihm Kilian nicht erteilen wollte.
    Aber so schnell gab der andere nicht auf. »Wo steigen Sie aus, wenn ich fragen darf?«
    Kilian seufzte leise. »Koblenz«, sagte er schließlich, als der Alte seinen rotumrandeten Blick nicht von ihm abwenden wollte.
    »Dann haben Sie’s ja gleich geschafft. Bei mir dauert’s noch ein Weilchen. Ich muss weiter nach Köln. Kennen Sie Koblenz?«
    »Nein.«
    »Schöne Stadt. Historisch höchst bedeutsam. Wenn man sich dafür interessiert«, begann der andere zu schwärmen. »Also, ich habe mich immer für Geschichte begeistert. Schon in der Schule war das mein Lieblingsfach. Hier in dieser Gegend treffen Sie überall auf die Spuren der Römer und Kelten. Die Festung Ehrenbreitstein hoch über dem Rhein – das muss man einfach gesehen haben. Und Schloss Stolzenfels. Lassen Sie sich das nicht entgehen. Ein Kleinod, sag ich Ihnen. Übrigens, der Koblenzer Schängel, der hat’s faustdick hinter den Ohren.« Nun schaute er listig.
    » S o«, erwiderte Kilian und strich sich über den gestutzten Schnauzbart. Von einem Schängel hatte er noch nie etwas gehört und er glaubte auch nicht, dass ihn dessen Eskapaden interessierten.
    »Nächster Halt Koblenz«, schnarrte eine gelangweilt klingende Stimme durch den Lautsprecher. Kilian stand auf und griff nach seiner Reisetasche.
    »Auf Wiedersehen«, rief ihm der alte Mann nach. »Und grüßen Sie mir Confluentia.«
    Als Kilian aus der Abteiltür trat, bremste der Zug mit einem Ruck. Er verlor das Gleichgewicht, griff auf der Suche nach einem Halt ins Leere und stieß heftig gegen eine junge Frau, die vor ihm stand. Sie drehte sich zu ihm herum, in den Augen ein ärgerliches Aufblitzen.
    »Entschuldigen Sie bitte«, murmelte er unterwürfig.
    Ihre Miene wandelte sich binnen Sekunden in ein freundliches Lächeln. »Nichts passiert«, meinte sie gönnerhaft und wandte sich wieder nach vorn.
    Nach einem kurzen Zwischenstopp setzte sich der Zug erneut in Bewegung. Vorsorglich hielt Kilian sich am Fenstergriff fest. Die junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen, stand unbeweglich vor ihm. Sie trug das Haar zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Ihre Schultern waren schmal. Um ihren Hals lag ein dünnes Goldkettchen, und in ihrem Nacken kräuselten sich flaumige Härchen.
    Er spürte einen unwiderstehlichen Drang, ihren Hals zu berühren. Die Hände um diesen schlanken Nacken mit dem zarten Flaum zu legen. Mit den Daumen ihre Konturen nachzuzeichnen. Mit einer Hand umkrampfte er den Tragegriff seiner Reisetasche, mit der anderen hielt er sich weiterhin am Fenstergriff fest. Es kostete ihn Anstrengung, diesen Drang zurückzuhalten. So sehr, dass ihm Schweißperlen auf die Stirn traten.
    Hinter ihm in dem schmalen Durchgang des Waggons hatte sich eine Schlange Wartender aufgereiht. Als der Zug mit einem endgültigen Ruck zum Stehen kam, achtete er da-rauf, nicht wieder die Balance zu verlieren.
    »Koblenz Hauptbahnhof. Willkommen in Koblenz.«
    In einem Pulk von Reisenden verließ er den Bahnsteig. Die Treppe mündete in eine Unterführung. Eine Weile ging er hinter der jungen Frau her in Richtung Ausgang. Bis sie von einem wartenden jungen Mann in die Arme geschlossen wurde, der ihr ein freudestrahlendes »Annette!« zurief und sie heftig an sich drückte. Kilian lief an dem Pärchen vorbei, das in seinen Leidenschaftsbezeugungen die Welt um sich herum vergaß.
    Die Koblenzer Bahnhofshalle wirkte frisch renoviert. Glänzend polierte Steinböden. Hohe, weißgekalkte Decken. Ein Imbissstand bot belegte Brötchen und Pizzastücke an. Vor dem Buchladen gleich neben dem Haupteingang würde Marion Lingat auf ihn warten, hatte sie gesagt. Das sei nicht zu verfehlen.
    Forschend blickte er in die Gesichter der Umstehenden, erwartete ein Aufblitzen des Erkennens. Aber niemand machte den Eindruck, als ob er ihn erwarte. Enttäuscht sah er auf die Uhr. Der Zug war pünktlich gewesen. Unschlüssig stellte er seine Tasche zwischen die Beine. Er hasste Unpünktlichkeit. Fünf Minuten würde er ihr geben.
    Marion Lingats Stimme hatte jung geklungen, als sie mit ihm telefonierte. Er hatte versucht, sich vorzustellen, wie sie aussah. So wie sie sprach, mit dieser

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