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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annegret Held
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Jim bei der Hand und holte daheim aus dem Keller eine alte Decke, und im Dunkeln griff ich noch ein paar Flaschen Bier und eine Flasche Kellergeister und eine Flasche Stonsdorfer, und wir gingen hinauf in den Wald, wo das Lusthäuschen stand, das die Zimmerleute gebaut hatten, vor langer Zeit. Es hatte fünf Ecken und war gestrichen rot vom Ochsenblut, und die Bänke waren so alt, dass sie zerbrachen, wenn man sich darauf setzte, und durch die offenen Fenster wehte der Waldwind.
    Wenn es ganz still war, konnte man dort die Rosemarie hören oder das Ännchen von Tharau. Die Erde war noch immer festgetreten, seit sie darin das Tanzen geübt hatten in genagelten Schuhen vor so langer Zeit. Die Balken waren zerkratzt und zerschnitzt, so viele Pärchen hatten sich hier verewigt und Herzen hineingekratzt. Wer weiß, wie viele Küsse hier getauscht worden waren, und auch Jim küsste mich jetzt betrunken unter dem alten Dach, durch das es bald hineinregnen würde, so krumm und schief, wie es war.
    – What an old house … stinks a little bit …
    – Ach … sagte ich … das ist ein bestimmter Farn … der riecht immer so …
    Es war der kräftige Geruch von moderigem Laub, von Tannen und Harz und der unverwechselbare Duft kleiner Jungen, die gern leerstehende, zerfallende Hütten bepinkeln, und doch war der Kirschlorbeer vom Waldesrand stärker und der schwarze Holunder, der heraufwehte. Wir waren dem Himmel jetzt sehr nahe und den Sternen auch, und auf einmal schrie eine Eule.
    – Mein Großvater hat eine Geschichte erzählt, sagte ich.
    – Which one.
    – Es war einmal eine finstere, finstere, finstere Nacht.
    – Hm …
    – Da hat er sich im Wald verlaufen und er sah nichts mehr … alles schwarz …
    – Hm …
    – Da sah er in der Ferne zwei Lichter … er ging darauf zu …
    – Hm …
    – Dann konnte er besser sehen … die Lichter waren hoch oben auf einem Baum, er ging um den Baum herum, und die Lichter drehten sich mit …, und er ging um den Baum herum und herum und herum …, und die Lichter drehten sich mit und folgten seinem Blick immerzu …
    – Hm …
    – Dann plumps … fielen sie aus dem Baum auf den Boden und was war es? Es war der Kopf einer Eule! Sie hatte im Eulenbirnbaum gesessen.
    Jim begriff nicht recht, dass die Eule sich den Kopf abgeschraubt hatte, und ich musste es ihm noch mal erklären, und ihm stand schon gar nicht mehr der Sinn danach, und ich hörte immerzu die Eule schreien, während er mich küsste und ich auf die alte Decke sank und dachte, der Baum muss hier irgendwo sein. Die ganze Zeit hatte er im Wald gestanden, gleich hinter dem Lusthäuschen, streckte er seine Zweige durch das kaputte Dach hinein … war das denn möglich? Er war die ganze Zeit hier gewesen, hatte ich ihn endlich gefunden?
    Aber niemand hat es mir verraten und die es wussten, die lebten schon lange nicht mehr. Die lagen auf dem Kirchhof, und nur die Eule wusste es noch, und auch sie sagte es mir nicht.
    – Wo der Eulenbirnbaum war.
    Meine Großmutter Apollonia hatte ihr Leben lang von Prinzen und Fürsten und Kaisern und Königen geträumt.
    Sie bekam einen Sägemehlsprinzen und den Fürst vom Lumpenball.
    Den Fürst vom Lumpenball trieb es jeden Tag aufs Neue hinaus, und nichts konnte ihn daheim halten, er musste durch das Dorf streifen und den Leuten einen Gruß bieten, ja, er grüßte nach allen Seiten, und die Leute stießen sich an und lachten und winkten.
    Ich war noch klein, aber ich habe gehört, wie meine Großmutter meinen Opa Klemens angeschrien hat:
    – Gehst du schon wieder auf den Lumpenball! Jaa … do seyst dou der Größte – der Oberlump … dou seyst der Fürst vom Lumpenball!!
    Seitdem wusste ich, dass mein Großvater ein Fürst war. Ein Fürst musste immer viel unterwegs sein und feiern und einen ausgeben. Darum dachte ich, der Lumpenball sei etwas wie sein Hofstaat, denn wenn er wiederkam, war er immer noch beseelt von dem herrlichen Tag, den er genossen hatte, roch nach Bier und Revalschwaden und überschüttete uns mit Schokolade, die er gekauft hatte, weil er so reich war. Weil mein Großvater Klemens den Lumpenball so liebte, stellte ich mir vor, dass er dort von den Seinen sehr verehrt wurde und geliebt, da er doch der Größte war. Vielleicht hielt er große Reden oder machte Späße für alle, jedenfalls ging es hoch her. Ich kannte das Wort Ball nur vom Aschenputtel, und einen Lumpen kannte ich nur vom Aufwischen in der Küche. Also musste es eine

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