Applebys Arche
daß
die kleinste Notiz davon genommen wird. Aber brenzlig ist es schon für sie. Sie
müssen genau überlegen, was sie tun. Und das ist unsere Chance.«
Mudge war mit dem Abräumen des Tisches beschäftigt. Nun hielt er
inne. »Da sieht man wieder, Mr. Appleby, daß einer lächeln und immer lächeln
und doch ein Schurke sein kann. Es ist wunderbar – wenn man es unter diesen
Umständen so ausdrücken darf –, wie das Leben immer wieder die Worte der
Dichter bestätigt.« Er legte eine andächtige Pause ein. »Mir schien dieser Mr. Hailstone ein sehr freundlicher Herr. Und ich zögere fast zu glauben, Sir, daß
solche Bosheit in ihm stecken soll. Und ich habe den Eindruck, Sir Mervyn ist
derselben Meinung.«
»Das bin ich tatsächlich.« Poulish nippte friedlich an seinem
Whisky. »Ich muß sagen, Ihre Psychologie überzeugt mich nicht. Uns alle
umbringen? Nein, Menschen denken nicht so. Jedenfalls ist mir noch keiner, der
so gedacht hätte, begegnet. Und ich habe ja nun in den letzten Jahren eine
ganze Menge Bekanntschaften gemacht.«
Appleby nickte ernst. »Das Bild ist noch sehr unvollkommen. Und ich
muß auch leider sagen, ich fürchte, die Gefahr für uns nimmt weiter zu. Ich
denke mir, so wie die Dinge jetzt stehen, müssen Dunchue und Hailstone nur ein
klein wenig nachdenken, dann werden sie darauf kommen, wie außerordentlich
gefährlich es für sie ist, wenn sie uns laufenlassen. Gebildete Leute, einer
davon Polizeibeamter« – er schüttelte den Kopf –, »da ist mir gar nicht wohl
bei dem Gedanken, daß ihr Handelsschiff vielleicht schon bald wieder
vorbeikommt.« Er blickte in die Runde der gespannten und noch ein wenig
verwirrten Gesichter. »Allerdings habe ich noch ein letztes As im Ärmel, und
das werde ich heute nachmittag ausspielen.«
Eine Weile lang schwiegen sie; dann ergriff Hoppo das Wort. »Diese
Kannibalen – sind Sie wirklich sicher, daß …?«
»Vollkommen. Unsere Freunde mit ihren einheimischen Dienern, dazu
ein oder zwei Leute aus unserer näheren Umgebung.«
»In Wirklichkeit« – aus Hoppos Stimme sprach eine Unschlüssigkeit
zwischen Erleichterung und Enttäuschung – »haben wir es also gar nicht mit
Wilden zu tun, sondern nur mit weißen Kriminellen?«
»Mehr oder weniger.« Appleby schwieg, ernst und gedankenverloren.
»Kriminelle würde ich sie nicht nennen.«
Sie starrten ihn an. »Aber«, protestierte Diana, »sie haben Ponto …«
»Und Mrs. Heaven …«, sagte Miss Curricle.
Appleby schüttelte den Kopf. »Das ist eine sehr schwierige Frage. Es
ist nämlich …«
Ein markerschütternder Schrei aus nächster Nähe ließ ihn verstummen.
Es folgte ein weiterer und noch ein weiterer, und Leute aus dem ganzen Hotel
kamen gelaufen um zu sehen, was geschehen war. Und plötzlich brach aus dem
Unterholz direkt vor ihnen Miss Busst hervor und fuchtelte in wahnsinnigem
Schrecken mit den Armen. »Die Wilden!« schrie sie; »die Wilden haben schon
wieder einen Mann umgebracht!«
Der Tote war nackt – ein Mann mittleren Alters, glattrasiert,
mit zwei großen Wunden wie von Säbelhieben auf beiden Wangen. Ein Grüppchen war
ins Unterholz zu der Stelle vorgedrungen, die Miss Busst beschrieben hatte, und
der erste von ihnen, der etwas sagte, war Jenner. »Ist denn das zu fassen! Ein
vollkommen Fremder.«
Appleby blickte Jenner an und machte sich seine Gedanken. Dann
betrachtete er den geheimnisvollen Leichnam, der in einer kleinen Lichtung am
Boden lag. Und schließlich blickte er hinauf zum Himmel. Man konnte sagen, daß
der Himmel das Interessanteste von allem war; Ermordete hatte Appleby mehr als
genug gesehen, aber noch nie einen Himmel wie diesen. Es war die Farbe
alter Bronze, mit einigen grünen Flecken wie Patina; es war, als wollten die
Elemente ein gewaltiges Mausoleum für diesen Toten bauen, das neueste Rätsel
der Insel. Allerdings hatte man auch den Eindruck, daß mit diesem mächtigen
Baldachin das Interesse der Natur an dem Geheimnis sich erschöpft hatte; die
Vögel sangen keinen Klagegesang, nichts flüsterte verstohlen im Gras. Alles war
still geworden. Selbst der säuselnde Wind war verstummt. Man spürte, daß jedes
lebendige Wesen sich eine Zuflucht gesucht hatte und daß der Tote in einer
Einsamkeit dort gelegen hatte, die selbst für diese einsame Insel bedrückend
war.
Glover sah sich die Wunden mit der Leidenschaftslosigkeit des alten
Indienkämpfers an. »Mutwillig«, sagte er. »Gräßliches Ritual zweifellos.« Er
stutzte.
Weitere Kostenlose Bücher