Applebys Arche
jedenfalls glaube ich das nicht –, aber wir könnten schon dafür sorgen, daß es
über offizielle Kreise nicht hinausgeht. Ich glaube, selbst wenn die Insel
wirklich amerikanischer Verwaltung untersteht, könnte ich das arrangieren. Wenn
es für Sie eine Hilfe ist.«
»Mein lieber Herr, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar. Vielleicht
mache ich mir unnötig Sorgen, aber Sie wissen ja, wieviel mir daran liegt, daß
unsere Arbeit nicht vor der Zeit bekannt wird.«
»Allerdings.«
Schweigend marschierten sie voran. Appleby betrachtete die zusehends
kürzer werdenden Schatten im Sand. Er hatte keinerlei Anhaltspunkt, was der
andere wirklich dachte. War es Bluff? Doppelter Bluff? Er kam sich vor wie beim
Pokerspiel, nur daß die Partie im Gehen gespielt wurde.
»Hinter der nächsten Düne liegt der Tote«, sagte Hailstone. »Einer
von meinen Jungs paßt auf ihn auf, auch wenn ihm vor Angst die Knie schlottern.
Oh! Ich hätte nicht gedacht, daß die Ameisen so schnell sind.«
Heavens Leichnam lag auf dem Gesicht. Ein Speer steckte noch immer in
seinem Rücken. Die Kleider hatte man ihm ausgezogen und mitgenommen. Glieder und
Hals des Toten oder Sterbenden hatte man scheußlich verrenkt, als er mit dem Tode
rang oder schon tot war. Und nun fraßen die Ameisen ihn auf. Auf seine
nüchterne Art war es ein bemerkenswert schauriger Tod.
Appleby betrachtete den Toten aufmerksam, doch teilnahmslos und
achtete nicht auf die erregten Ausrufe der Männer, die hinter ihm standen. Er
wandte sich an Hailstone. »Wie sie ihn wohl erwischt haben? Ich habe ihn noch
kurz vor dem Überfall am Hotel gesehen. Wir unterhielten uns – was einem nun
entsetzlich unpassend vorkommt – über Gold und Blei. Wenn man sich das
vorstellt!«
»Gold und Blei?« Hailstone war verblüfft.
»Nur eine kleine literarische Plauderei«, antwortete Appleby munter.
»Er hatte ja, wie Sie wissen, seine ästhetischen Neigungen. Ja, über die Kästen
aus Gold und Blei im Kaufmann von Venedig . Und jetzt,
bei all den Ameisen, könnte er selbst einen bleiernen Kasten brauchen. Ist
Hoppo mitgekommen? Ah ja. Ich würde sagen, ein rasches Begräbnis wird das
Anständigste und Gnädigste sein. Danach sollten wir uns auf die Suche nach
seiner Frau machen. Vielleicht ist sie verschleppt worden – womöglich nur an
einen anderen Ort auf der Insel. Ein paar Waffen werden sich finden, damit
können wir eine Suchexpedition wagen. Meinen Sie nicht auch?« Appleby sagte es
praktisch und vernünftig, weder allzu streng noch allzu besorgt, und blickte
Hailstone fragend an.
»Ich finde, da haben Sie ganz recht.« Hailstones Nicken war geradezu
vehement. »Es ist ein großer Trost, wenn jemand da ist, der solche Dinge in die
Hand nimmt.« Dann ging er hinüber zu dem Diener, der bei der Leiche Wache
stand.
Sie begruben Heaven. Binnen einer halben Stunde war er verschwunden.
Das Tempo, dachte Appleby bei sich, wurde flotter … wenn das der richtige
Ausdruck dafür war. Er ging hinunter ans Wasser. Hier, diesseits des Riffs,
schwappten nur noch kleine Wellen an den Strand, folgten einander beinahe
verstohlen ans Ufer. Fische huschten vorbei – so winzig, daß sie selbst im
flachsten Wasser noch ihre Purzelbäume schlagen konnten; eine Krabbe, wie
ein durch Magie gelöster Schatten, flitzte von der Deckung eines Steins zur
nächsten. Der kleine Sog der zurücklaufenden Wellen ließ den Sand immer wieder
neu fließen, wirbelte die Myriade fast schon kleinster Teilchen auf,
verlor seine Kraft in Gegen- oder Querströmungen, in denen die unablässige
Bewegung ihren Fortgang nahm. Es war, als läse man Bergson: Wandel und immer
wieder Wandel, und nie war zu erkennen, woher dieser Wandel kam. Heaven,
Hailstone, Heraklit, sagte Appleby zu sich – und blickte auf und sah die
klare, eindeutige Gestalt, die diese Welt, auch wenn sie ständig im Fluß war,
hier am Strand annahm. Er sah müßig zu, ein paar einsame philosophische
Klischees gingen ihm noch durch den Sinn, ohne jede praktische Verbindung zu
dem, was er sah. Noch träumte er vor sich hin, doch im Mittelgrund regten sich
Hailstones Hosen, Georges Fell, ein gleichmäßigerer Strom als die schwappenden
Wellen schob sich geheimnisvoll über den Sand, so leicht und fast berührungslos
wie eine flüchtige Liebkosung. Am Strand hatten sich die seltsamen
Wattekugeln, mit denen Diana gespielt hatte, in immer größerer Zahl
aufgetürmt; sie waren zu Tausenden da, zu Millionen, als hätten alle Sirenen
des Ozeans durch
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