Aprilgewitter
eigentlich, mein Herr, uns schon wieder zu belästigen? Sie haben uns bereits vorhin in eine unmögliche Situation gebracht! Und nun wollen Sie uns gar auch noch zu Komplizinnen machen, die Sie bei Ihrer Flucht vor den Behörden unterstützen sollen.«
»Sprechen Sie bitte ein bisschen leiser! Oder wollen Sie die Leute um uns herum aufmerksam machen?«, wies Lore sie zurecht.
Sie wusste selbst nicht, ob sie es tat, um nicht in eine Polizeiaktion verwickelt zu werden, oder ob sie dem jungen Mann helfen wollte. Als sie ihre Tasse zum Mund führte und trank, musterte sie ihn über den Tassenrand hinweg. Er schien verzweifelt zu sein, wirkte aber nicht wie ein Verbrecher. In Bremen hatte sie erfahren, dass die Gesetze in Preußen strenger waren und besonders strikt gehandhabt wurden. Auch ihr väterlicher Freund Thomas Simmern hatte sich in diesem Sinne geäußert. Nun, dennoch würde sie Gregor Hilgemann nicht die Generalabsolution erteilen.
»Dann erzählen Sie uns doch erst einmal, weshalb die Herren in Uniform Sie so gerne zu Gast laden würden«, forderte sie ihn auf.
Der junge Mann sah sie an, als wisse er nicht recht, was er preisgeben sollte. »Es handelt sich um eine politische Sache, welche die Damen sicher nicht interessieren dürfte.«
»Ich würde sie trotzdem gerne hören«, beharrte Lore.
»Unser Professor hat zu Kaiser Wilhelms letztem Geburtstag ein Gedicht geschrieben und veröffentlicht, in dem er Seine Majestät verherrlicht und ihn auffordert, die demokratischen Regungen in diesem Land mit eiserner Hand auszurotten. Dies hat mir und einigen meiner Kommilitonen missfallen, und so haben wir das Gedicht umgeschrieben, drucken lassen und in der Universität verteilt. Es wurden einige, wie ich zugeben muss, recht derbe Spottverse auf den Professor daraus. Als er sie entdeckt hat, bestand er darauf, dass die Schuldigen von der Universität verwiesen werden. Wir haben ihn daraufhin aufgesucht, um dagegen zu protestieren – und schon kamen die Gendarmen, um uns wegen Rebellion zu verhaften. Ich hoffe, dass meine Freunde ihnen ebenfalls haben entkommen können.«
»Es war ehrenrührig von Ihnen, Ihren Professor in diesen Versen zu beleidigen, zumal damit auch der Anschein erweckt worden sein dürfte, Sie hätten nicht ihn, sondern Seine Majestät, den Kaiser und König, beleidigt. Schließlich sollte das Gedicht ein Loblied auf ihn darstellen.«
Als adelige Preußin war es Caroline in Fleisch und Blut übergegangen, dass der Herrscher über allem stand und jede Kritik an der göttlichen Ordnung rüttelte. Am liebsten hätte sie Lore aufgefordert, Gregor Hilgemann sogleich fortzuschicken oder besser gleich einen Kellner zu bitten, einen Schutzmann herbeizurufen.
Doch Lore überlegte bereits, wie sie dem Studenten helfen konnte. Leider waren ihre Möglichkeiten beschränkt. Wäre Fridolin noch der Gleiche gewesen wie bei ihrer Heirat, hätte sie Hilgemann zu ihm gebracht. Ihr Mann hätte sicher gewusst, was man in diesem Fall unternehmen konnte. Doch seit Fridolin wohlbestallter Vizebankdirektor war, war sie nicht mehr sicher, ob er nicht auch die Gendarmen rufen und sie selbst arg schelten würde.
Da huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Einen, oder besser gesagt zwei Menschen gab es, denen sie vertrauen konnte. Mary hatte nicht vergessen, dass sie aus einer Gasse in Harwich stammte, in der die Polizei auch nicht gerade zimperlich gegen die Bewohner vorging, und Konrad war lange zur See gefahren und hatte dabei etliche Abenteuer erlebt, gegen die das hier harmlos war.
»Herr Hilgemann, ich muss Sie bitten, uns jetzt zu verlassen. Seien Sie um vier Uhr heute Nachmittag in der Ottostraße, Ecke Turmstraße. Ich werde zu der Zeit eine liebe Freundin besuchen. Vielleicht weiß deren Ehemann Rat.«
Gregor Hilgemann sah sie scharf an. Er fragte sich, ob sie ihn in eine Falle locken und der Polizei übergeben wollte. Doch danach sah es nicht aus. Ihre Begleiterin aber schnaubte missbilligend. Wenn es nach deren Willen ginge, wäre er schon verhaftet worden.
Mit heimlicher Angst, aber auch voll neuer Hoffnung stand er auf, verbeugte sich vor den beiden Damen und verließ das Café. Erst auf der Straße fiel ihm auf, dass er vergessen hatte, seine Zeche zu bezahlen. Er wollte schon wieder zurückkehren, um dieses Versäumnis auszuräumen, da bog ein Gendarm um die Ecke und sah sich so gründlich um, dass Gregor Hilgemann sich mit raschen Schritten entfernte. Er konnte nur hoffen, dass die freundliche
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