Aprilgewitter
Ruhe und deinen Verdienst.«
»Und was ist, wenn bekannt wird, dass ich für eine Hure arbeite?«, fauchte Mary.
»Ich glaube nicht, dass dies deinen Modesalon beeinträchtigen wird. Für die paar ehrpusseligen Lieschen, die abspringen, wirst du neue Kundinnen gewinnen. Aber jetzt muss ich wieder zur Tür, denn deine Näherinnen kommen!«
Damit brachte Konrad seine Frau zum Schweigen. Als deren erste Angestellte den Raum betrat, traf sie ihre Chefin dabei an, wie sie die Freifrau von Trettin gerade das zweite Hauskleid anprobieren ließ, das diese bestellt hatte.
VI.
D en vor ihm liegenden Gang unternahm Fridolin weniger aus Neigung denn aus Pflichtgefühl. Auch wenn die Kontakte zu seinen und Lores Verwandten in Ostpreußen nicht über das Nötigste hinausgingen, so war er doch der Vormund der beiden Söhne seines verstorbenen Vetters Ottokar von Trettin und für diese verantwortlich. Den älteren sah er einmal im Jahr bei seinem Pflichtbesuch auf Gut Trettin, doch der jüngere weilte seit einigen Monaten auf einer Kadettenschule in Berlin, und anstandshalber musste er endlich einmal nach ihm sehen.
Während der Kutscher seiner Droschke einen Weg durch das Gewühl auf den Straßen suchte, beobachtete Fridolin das rege Treiben. Vor ihnen fuhr ein mit zwei Pferden bespannter Omnibus, in dem sich die Fahrgäste wie Heringe aneinanderdrückten. Fridolin versuchte, sich die Gerüche vorzustellen, die sich dort ballten, und war froh, allein in seiner Droschke zu sitzen. Selbst früher, als er mit jedem Groschen hatte rechnen müssen, hatte er, wenn es nur irgend ging, eine Droschke der Pferdetram und dem Omnibus vorgezogen. Es ging über sein Verständnis, dass man, wenn man in eine bestimmte Straße wollte, zuerst ganz woanders hinfahren und dann mehrmals umsteigen musste.
Auf Dauer war eine Droschke jedoch nicht das Richtige für ihn. Als Vizedirektor und Miteigentümer eines Bankhauses war es seinem Ruf abträglich, wenn er nicht mit einem eigenen Wagen fuhr. So bald wie möglich würde er sich eine Kutsche und Pferde besorgen und einen Kutscher einstellen.
»Wir sind da, gnädiger Herr!« Die Stimme des Droschkenkutschers riss Fridolin aus seinen Gedanken. Sie hatten die lebhaften Straßen im Zentrum hinter sich gelassen und hielten nun in einer ruhigen Gasse, die zur Rechten von einem langen Gebäude aus rotem Backstein gesäumt wurde. Ein paar Schritte weiter befand sich ein Tor, vor dem zwei Wachtposten standen.
Fridolin bezahlte den Kutscher und ging darauf zu. Die beiden Wachen, junge Burschen um die sechzehn, rührten sich keinen Deut, als er sie ansprach.
»Mein Name ist von Trettin. Ich wünsche, Major von Palkow zu sprechen!«
Da er ihnen keinen militärischen Rang nannte, blies einer der Burschen verächtlich durch die Nase. Dann wandte er sich mit abgehackt wirkenden Bewegungen um und trat ans Tor.
»Ein Herr von Trettin wünscht den Herrn Major zu sprechen«, rief er durch eine kleine Öffnung und nahm anschließend wieder seinen Posten ein. Eine in das Tor eingelassene Tür wurde geöffnet, und ein älterer Mann in der Uniform eines Feldwebels steckte den Kopf heraus.
»Wenn der Herr mitkommen würde!«
Besonders höflich sind die Leute ja nicht, dachte sich Fridolin und gab Grünfelder im Stillen recht, dass man ihn als Leutnant der Reserve gewiss freundlicher empfinge. Dies war ein weiterer Grund, sein Pflichtjahr bei der Armee abzuleisten.
Er folgte dem Feldwebel über den Exerzierplatz und erreichte kurz darauf die Kadettenschule. Auch hier standen zwei Kadetten Wache. Als der Feldwebel auf sie zutrat, präsentierten sie das Gewehr.
Der Unteroffizier berührte kurz den Rand seiner Schirmmütze, stieg die Stufen hoch und marschierte durch einen düsteren Flur bis zur letzten Tür. Nach einem kurzen Klopfen trat er ein.
»Herr von Trettin wünscht Sie zu sprechen, Herr Major«, meldete er von Palkow, der missmutig an seinem Schreibtisch saß.
Von Palkow erhob sich und trat auf Fridolin zu. »Willkommen, Trettin! Sind wohl von Grünfelder geschickt worden, was? Konnte die letzten Tage nicht zu ihm kommen. Gab einfach zu viel zu tun. Zigarre und Cognac? Vergaß, Sie rauchen ja nicht!«
Fridolin erwiderte von Palkows Händedruck und nahm nach dessen Aufforderung auf einem Stuhl Platz. Während der Major zwei Gläser mit Cognac füllte, sah er sich ein wenig um. Der Schreibtisch, ein dunkler Schrank und vier Stühle bildeten die gesamte Einrichtung des Raumes. An den Wänden hingen das
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