Aprilgewitter
Eltern, als ich sechzehn war, auf eine vermeintlich feine Dame hereingefallen sind, die ihnen versprochen hat, mich als Zofe in Dienst zu nehmen. Doch als ich mit der Frau in Berlin ankam, hat mich ihr Ehemann gleich in der ersten Nacht durchgezogen, und in der nächsten Nacht fand ich mich in ihrem Hurenhaus wieder. Hätte diese Puffmutter nicht Schulden bei Frau Hede gehabt und mich ihr sozusagen in Zahlung gegeben, wäre ich schon längst vor die Hunde gegangen. Hier habe ich zumeist nur einen oder zwei Freier pro Nacht und werde gut genug bezahlt, so dass ich die Hoffnung habe, irgendwann einmal Schluss machen und ein neues Leben beginnen zu können.«
»Ein neues Leben, pah! Einmal Hure, immer Hure«, höhnte Elsie. Dann sah sie die drohenden Blicke der anderen auf sich gerichtet und machte, dass sie an die Arbeit kam.
Lenka schüttelte den Kopf. »An der ist wirklich Hopfen und Malz verloren.«
»Aber sie hat recht! Es steht alles in unseren Papieren. Wo wir auch hingehen, wird man feststellen, dass wir gefallene Frauen sind«, wandte Hanna ein.
»Wirklich?« Lenka stieß ein leises Lachen aus. »Irgendwann werde ich an Deck eines Ozeandampfers stehen und alle meine Papiere bis auf meine Geburtsurkunde und den Fahrschein über Bord werfen. Wenn ich dann drüben ankomme, hat es meine Zeit im Hurenhaus nie gegeben.«
»Du spinnst doch!« Hanna tippte sich an die Stirn und ging frisches Bettzeug holen. Lenka nahm derweil den Besen zur Hand. Während sie das Separee auskehrte, eilten ihre Gedanken weit über das Meer nach Amerika, wo sie irgendwann einmal ein neues Leben zu beginnen hoffte.
V.
A m nächsten Tag versuchte Hede erneut, Fridolins Frau zu treffen, und diesmal hatte sie Glück. Kaum hatte der ehemalige Matrose die Schneiderin in den Modesalon geleitet, hielt eine weitere Droschke vor dem Haus, und dieser entstieg eine junge Dame in einem eleganten Kleid. Als sie auf die Tür zuging, öffnete ihr der Seemann und ließ sie ein. Dabei wechselten sie ein paar Worte miteinander und lachten.
Jetzt hielt es auch Hede nicht mehr im Wagen. Sie stieg aus, wies den Kutscher an, auf sie zu warten, und schritt auf die Tür des Modesalons zu. Als sie die Klinke drückte, war jedoch abgeschlossen. Ohne zu zögern, klopfte sie.
Der Spießbürgermatrose machte die Tür auf und musterte sie erstaunt. »Entschuldigen Sie, aber wir öffnen erst in einer Stunde.«
Hede zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen. »So lange werden Sie mich doch nicht auf der Straße warten lassen.«
Konrad versuchte, die Besucherin einzuschätzen. Geld schien sie zu haben, denn ihr Kleid stammte gewiss von einer teuren Schneiderin. Es wirkte jedoch streng, als sei es für die Besitzerin eines Mädchenpensionats gefertigt, aber für diese Profession waren ihr Lächeln zu freundlich und ihre Gesten zu lebhaft. Um nicht unhöflich zu sein, trat er zögernd beiseite.
»Dann kommen Sie mal herein, gnädige Frau. Warten Sie bitte im Empfangssalon. Ich gebe Bescheid, dass Sie hier sind!« Mit diesen Worten schloss Konrad wieder ab und eilte mit langen Schritten nach hinten. Dort fand er Lore und Mary über ein Schnittmuster gebeugt, das aus England geliefert worden war.
»Also ich finde, dass der Schnitt die Partie um die Hüften zu sehr betont. Eine Frau, die von Natur aus einen kräftigen Hintern aufweist, wird darin wie eine Ente aussehen«, kommentierte Lore gerade kopfschüttelnd.
»Es ist aber die neueste Mode. Anscheinend wollen die besseren Damen alle Enten sein«, gab Mary mit einem unterdrückten Kichern zurück.
Konrad räusperte sich. »Entschuldigt, eben ist eine Dame gekommen, die sich nicht abweisen lassen wollte. Sie ist vorne im Empfangszimmer.«
»Ich kümmere mich um sie. Laurie, bleib du bitte hier. Sollte ich die Besucherin hierherführen müssen, bist du ebenfalls eine frühe Kundin!« Mary wandte sich bereits der Tür zu, als Lores Stimme zornig hinter ihr aufklang.
»Ich bin es leid, mich immer verstecken zu müssen. Da die feine Gesellschaft nichts von mir wissen will, kann ich genauso gut als deine Partnerin auftreten!«
Mary rang die Hände. »Um Gottes willen! Du musst an Fridolin denken. Es wäre ihm unmöglich, weiterhin Vizedirektor dieser Bank zu bleiben, wenn du das tust.«
»Mir wäre es wirklich lieber, er würde sich von Grünfelder trennen. Sonst habe ich ihn bald ganz an diese elende Bank verloren.«
Als Mary das hörte, war sie froh, dass Lore nicht zu jenen Frauen zählte, die rasche
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