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Aprilgewitter

Titel: Aprilgewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorentz Iny
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überließ sie es Mary, sich mit den Vorstellungen dieser Kundin zu befassen.
    Hedes Aufmerksamkeit galt mehr Lore als der englischen Schneiderin, und sie konnte sich nur mühsam auf die Modezeichnungen konzentrieren, die diese vor ihr ausbreitete. Es waren wunderschöne Kleider dabei, die sie am liebsten sofort in Auftrag gegeben hätte. Doch ihr Beruf, so frivol er auch sein mochte, zwang sie dazu, eher wie eine Gouvernante denn eine moderne Bürgerin aufzutreten. Trug sie ein üppiges Dekolleté und leuchtende Farben, würden ihre Gäste, aber auch ihre Mädchen sehr rasch die Achtung vor ihr verlieren und sie ebenfalls als käufliche Ware ansehen.
    Ein Teil ihrer Gedanken spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider, und Lore fand ihren Verdacht bestätigt, dass die Unbekannte trotz guter Kleidung nicht zu den besseren Kreisen zählte.
    Auch die frühe Stunde, zu der sie hier aufgetaucht war, sprach dafür. Es war, als wolle sie den normalen Kundinnen aus dem Weg gehen. Von einer Schneiderin in Bremen, bei der sie gelegentlich etwas hatte nähen lassen, wusste Lore, dass diese, um über die Runden zu kommen, auch für Frauen arbeitete, die alles andere als Damen waren. Gehörte auch die Fremde zu diesen?, fragte sie sich. Im ersten Augenblick machte sich Abscheu in ihr breit, doch dann rief sie sich zur Ordnung. Die meisten dieser Frauen hatten sich nicht aus freien Stücken für diesen Weg entschieden, und für nicht wenige endete er in Krankheit und frühem Tod. Daher war es ihrer Besucherin wohl zu gönnen, dass sie in besseren Verhältnissen lebte als andere, die sich dem Beruf der Unmoral hatten verschreiben müssen.
    Hede bemerkte den kurzen Moment, in dem Lore sie abwägend fixierte, und sagte sich, dass sie eine Närrin gewesen war, hierherzukommen. Doch da glätteten sich Lores Züge wieder, und sie machte einige Vorschläge, wie Mary den Geschmack dieser Kundin besser treffen könne. Ihre Stimme klang freundlich, ja sogar ein wenig mitfühlend und nicht so geringschätzig, wie es bei Hedes bisheriger Schneiderin der Fall war.
    »Ich danke Ihnen sehr, gnädige Frau, dass Sie so freundlich waren, mich Ihr Kleid sehen zu lassen. Dies hätten nicht viele getan!« Hede gab dabei mehr von ihrem Seelenleben preis, als sie eigentlich wollte, und wurde von Lore mit einem Lächeln belohnt.
    »Wenn Sie bei meiner guten Freundin Mary arbeiten lassen, werden wir uns wahrscheinlich öfter sehen«, erklärte sie und reichte der Fremden die Hand.
    Hede ergriff sie und schämte sich nun, weil sie Neid auf diese Frau empfunden hatte. Im Grunde passte Lore wunderbar zu Fridolin. Das mussten die beiden nur endlich begreifen. Sie bedankte sich auch bei Mary, drängte dieser eine Anzahlung für das neue Kleid auf und verabschiedete sich mit dem Gefühl, eine interessante Bekanntschaft gemacht zu haben.
    Als sie gegangen war, trat Mary ans Schaufenster und blickte ihr nach. »Sie steigt in eine wartende Droschke, besitzt also keinen eigenen Wagen«, sagte sie zu Lore.
    »Allerdings kann sie es sich leisten, eine Droschke warten zu lassen, ist also nicht auf die Trambahn oder den Omnibus angewiesen«, gab Lore nachdenklich zurück.
    »Wer mag sie sein? Ich kann mir einfach kein Bild von ihr machen«, setzte Mary das Gespräch fort.
    Um Lores Lippen spielte ein sanftes Lächeln. »Ich glaube, diese Dame führt kein besonders ehrenwertes Haus. Allerdings scheint sie nicht arm zu sein.«
    »Du meinst, sie ist die Besitzerin eines dieser Häuser, über die man nicht spricht?« Mary war ehrlich schockiert und wollte schon sagen, dass sie für so eine Person gewiss nichts nähen würde.
    Da schaltete Konrad sich ein. »Lore dürfte recht haben. Meiner Schätzung nach führt diese, wie heißt sie gerade wieder …?«, er warf einen Blick auf den Zettel, den Mary beschrieben hatte, »ah, Pfefferkorn! … eines der Nobelbordelle in Berlin. Das sieht man bereits an ihrer Kleidung. Eine gewöhnliche Puffmutter ist sie gewiss nicht. Die treten ganz anders auf, einfach ordinär, kann man sagen. Doch das ist diese Pfefferkorn ganz und gar nicht.«
    »Du scheinst ja Erfahrung zu haben!«
    Mary hörte sich giftig an, aber ihr Mann lachte nur. »Als Seemann kommt man weit herum, mein Schatz, und sieht in fremden Häfen vieles, um das normale Bürger einen weiten Bogen machen. Auf jeden Fall kann diese Frau es sich leisten, bei dir arbeiten zu lassen. Bestelle sie zu jenen Zeiten, in denen keine anderen Kundinnen zugegen sind, und du hast deine

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