Aprilgewitter
nötigte Fridolin, es ihm gleichzutun.
VII.
D er Junge war gewachsen, seit Fridolin ihn das letzte Mal gesehen hatte, und sah in seiner dunkelblauen Kadettenuniform adrett aus. Auch war der freche Ausdruck auf dem Gesicht geschwunden und hatte einer eher ängstlichen Miene Platz gemacht. Die ganze Haltung verriet, dass er sich in der Gegenwart seines Vormunds nicht wohlfühlte.
»Guten Tag«, grüßte Fridolin.
Wenzel salutierte zackig. »Guten Tag, Herr Vormund.«
»Ich freue mich, dich wohl zu sehen! Major von Palkow ist sehr zufrieden mit dir.« Fridolin wusste im Grunde nicht, was er mit dem Jungen reden sollte. Bislang hatte er sich kaum um ihn gekümmert und kämpfte nun mit dem Gefühl, dass dies ein Fehler gewesen war.
»Ich bin stolz, dass Herr Major von Palkow mit meinen Leistungen zufrieden ist.«
»Er nannte dich in Mathematik und Physik sehr begabt, machte aber Einschränkungen wegen deiner Reitkünste!«
Als Fridolin dies sagte, schien der Junge zu schrumpfen. »Dabei gebe ich mir alle Mühe, mein Können als Reiter zu verbessern, Herr Vormund.«
»Das ist auch gut so! Allerdings solltest du dir überlegen, ob du wirklich zur Kavallerie gehen willst. Die hat zwar das höchste Prestige im Heer, aber gute Offiziere sind auch bei der Infanterie, beim Train und bei der Artillerie gefragt. Dort blieben dir halsbrecherische Attacken zu Pferd erspart.«
»Sie sind also nicht der Meinung, dass ich unbedingt zu den Garde-Ulanen muss, Herr Vormund?«
»Ich will, dass du den Platz einnimmst, den du zu deiner eigenen Zufriedenheit ausfüllen kannst. Deine schulischen Leistungen befähigen dich, zur Artillerie zu gehen. Dort braucht man besonders begabte Offiziere.« Fridolin wunderte sich über sich selbst, dass er sich so viele Gedanken über einen Jungen machte, dessen Existenz er bisher am liebsten vergessen hatte. Doch Wenzel wirkte so bedrückt, dass es ihm geraten schien, sich ein wenig um ihn zu kümmern.
»Ich würde gerne zur Artillerie, doch Mama verbietet es. Sie sagt, dort gäbe es vor allem bürgerliche Offiziere, und die wären für einen Freiherrn von Trettin nicht der richtige Umgang.«
Malwine steckt also dahinter, fuhr es Fridolin durch den Kopf. Das hätte er sich denken können. Obwohl sie selbst weder Titel noch eigenen Besitz aufzuweisen hatte, gab sie sich hochmütiger als die Damen der alten preußischen Geschlechter. Es würde nicht leicht werden, ihr beizubringen, dass ihr Sohn nicht dazu taugte, in eines der Garderegimenter zu Pferd einzutreten, sondern besser beim Geschützwesen aufgehoben war. Aber da ihm der Junge leidtat, war er bereit, diesen Kampf auszufechten.
»Noch habe ich zu bestimmen, was mit dir geschieht, und nicht deine Mutter. Wenn ich der Ansicht bin, du solltest zu den Kanonieren, wirst du das auch tun!«
Wenzel von Trettin atmete auf. »Es ist nicht so, dass ich überhaupt nicht reiten kann, Herr Vormund, aber die meisten meiner Kameraden stammen von großen Gütern und sind viel besser als ich. Ich habe Angst, mich während einer scharfen Attacke nicht auf meinem Pferd halten zu können. Immerhin bin ich hier schon zwei Mal aus dem Sattel gestürzt. Mama sagt aber, ich müsste es lernen, da ich als Trettin einfach Kavallerieoffizier werden muss.«
»Das ist doch Unsinn! Du bist es unserer Familie schuldig, ein guter Offizier zu werden, gleichgültig ob bei den Ulanen, bei der Gardeinfanterie oder der Artillerie. Ich werde deiner Mutter in diesem Sinne nach Ostpreußen schreiben!«
»Aber Mama ist doch hier in Berlin!«
Fridolin blickte ihn verblüfft an. »Was sagst du? Ich dachte, sie lebt auf Trettin!«
»Dort ist sie höchstens ein paar Wochen im Jahr. Gelegentlich kommt sie auch hierher, um mir ins Gewissen zu reden, und spricht mit dem Herrn Major!« Wenzel klang nicht so, als wären dies erfreuliche Gespräche für ihn. Doch Fridolin dachte jetzt weniger an den Jungen als an dessen Mutter. Malwine von Trettin lebte in Berlin, obwohl sie ihm gegenüber immer vorgegeben hatte, sie müsse auf Trettin versauern. Interessant fand er auch, dass sie mit Major von Palkow bekannt zu sein schien. Da dieser offenbar noch immer enge Kontakte zu den Offizieren seines früheren Regiments pflegte, konnte er sich plötzlich denken, aus welcher Ecke die Verleumdungen gegen Lore kamen.
Nun reizte es ihn doppelt, diesem Regiment beizutreten und den Stier bei den Hörnern zu packen. Da seine Gedanken sich mehr mit diesem Thema beschäftigten, erstarb das
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