Aprilgewitter
Entschlüsse ebenso rasch ausführten, und nahm sich vor, ein ernsthaftes Wort mit Lore, aber auch mit Fridolin zu sprechen. So konnte es auf Dauer nicht weitergehen.
»Bitte denke auch an mich! Es wäre mir fürchterlich peinlich, im Mittelpunkt eines Skandals zu stehen«, sagte sie.
Lore lachte bitter auf. »Ein Skandal würde unseren Modesalon erst richtig bekannt machen! Gewiss würden einige Damen allein deswegen kommen, um sich vor ihren Freundinnen brüsten zu können, dass ihr Kleid von einer echten Freifrau genäht worden ist. Obwohl, so echt bin ich nun auch wieder nicht, da mein Vater ein schlichter preußischer Beamter ohne Rang und Titel war.«
»Ich muss mich jetzt um die Kundin kümmern!« Mit diesen Worten beendete Mary das Gespräch und war erst einmal froh, nicht mehr die besorgte Freundin sein zu müssen, sondern als erfolgreiche Geschäftsfrau auftreten zu können.
Weder sie noch Lore ahnten, dass Hede das Ohr gegen das Türblatt gelegt und gelauscht hatte. Jetzt trat sie rasch ein paar Schritte zurück und musterte die junge Engländerin, die auf einen Gehstock gestützt auf sie zukam.
»Guten Tag, sind Sie die Kleidermacherin Mary Penn?«, fragte Hede.
Mary nickte. »Die bin ich! Willkommen in meinem Modesalon. Darf ich Ihre Wünsche erfahren?«
»Welchen anderen Wunsch hätte ich als ein neues Kleid«, antwortete Hede lächelnd. »Übrigens habe ich vorhin, als eine Droschke anhielt, eine Dame eintreten sehen, deren Kleid mir sehr imponiert hat. Handelt es sich dabei um eine Ihrer Kreationen, Madam?«
Zwar hatte Lore das Kleid selbst genäht, doch da Mary ihr dabei mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte, nickte sie. »Sehr wohl, gnädige Frau!«
Auch sie vermochte die Fremde nicht einzuordnen. Diese wirkte zwar wie eine gediegene Geschäftsfrau, aber das war sie nicht, dessen war Mary sich sicher. Wieso, hätte sie allerdings nicht zu sagen vermocht.
»Ich würde mir das Kleid Ihrer Kundin gerne einmal ansehen, wenn ich darf.«
Mary zögerte. Eigentlich hatte Lore nicht in Erscheinung treten sollen, doch es wäre äußerst unhöflich, der Bitte nicht zu entsprechen.
»Kommen Sie bitte mit«, forderte sie Hede deshalb mit leichter Abwehr in der Stimme auf.
Die Besucherin folgte ihr lächelnd und nahm dabei die Ausstattung des Modesalons in Augenschein. Alles wirkte sehr englisch, es fehlte auch das lebensgroße Porträt von Queen Victoria nicht, welche als Schwiegermutter des preußisch-deutschen Kronprinzen Friedrich auch hierzulande einen hohen Bekanntheitsgrad hatte. Auf einer Anrichte standen mehrere Vasen aus chinesischem Porzellan, auf einer zweiten das Messingstandbild einer vielarmigen Frau in exotischer Tracht.
Mehr als auf die Einrichtung war Hede jedoch auf Fridolins Frau gespannt. Und so musste sie sich, als Lore vor ihr stand,
direkt zwingen, sie nicht aufdringlich anzustarren.
Der erste Eindruck war beinahe ein Schock. Sie hatte sich Lore von Trettin als leidlich hübsches, aber doch eher robustes Wesen vom Land vorgestellt. Vor ihr stand jedoch eine Schönheit mit blonden Haaren, einem zart geschnittenen Gesicht und strahlend blauen Augen. Auf Rouge und farbigen Lippenbalsam hatte Lore verzichtet, doch Hede fand neidvoll, dass sie solche Hilfsmittel nicht nötig hatte. Lore war gewiss fast zehn Jahre jünger als sie und strahlte eine Energie aus, die sie sich selbst gewünscht hätte.
»Die Dame würde gerne Ihr Kleid sehen, Frau von Trettin«, meldete Mary.
»Genauso ist es, gnädige Frau!« Hede hatte sich inzwischen wieder gefasst und vermochte Lore anzulächeln.
Nun war es an Lore, ihr Gegenüber zu mustern, und ihre Blicke drangen tiefer als die von Konrad und Mary. Sie sah eine strahlende Schönheit in der Blüte ihrer Jahre, bemerkte aber auch die Schatten um die Augen, die zu viele durchwachte Nächte hinterlassen hatten, und einen leicht bitteren Zug um ihre Lippen. Dies, sagte sie sich, war eine Frau, die bereits viel erlebt hatte, und das meiste davon war gewiss nicht angenehm gewesen. Sie empfand eine gewisse Sympathie und stellte sich hilfsbereit so hin, dass diese ihr Kleid betrachten konnte.
»Es ist wirklich wunderschön, und die Farbe steht Ihnen ausgezeichnet. Ich hätte das meine jedoch gerne in einem dunklen Grau und oben am Hals etwas mehr geschlossen«, erklärte Hede.
Nun hatte Lores Kleid wahrlich kein aufregendes Dekolleté, daher wunderte sie sich über den Wunsch der Fremden. Da sie sich aber tunlichst heraushalten sollte,
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