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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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vor sich hin. Benno konnte nicht einschlafen. Der Gedanke an einen Urlaub mit Christine hielt ihn wach.
    —
    Als er aufgab und sich etwas zu trinken holen wollte, saß sie im Aufenthaltsbereich auf dem Sofa. Sie rauchte und starrte vor sich hin. Benno stoppte in der Tür und ging zurück, um seine Hose anzuziehen – in der Unterhose wollte er ihr nicht gegenübertreten. Sie sah verlegen, irritiert, oder beschämt drein, er wusste nicht genau, wie er ihren Blick interpretieren sollte.
    »Was ist los?«, fragte er.
    »Ich hab so grausig geträumt, dass ich Angst habe, wieder einzuschlafen. Sogar Angst, in das Zimmer zurückzugehen.« Sie war tatsächlich verlegen. Eine so kindliche Anwandlung gestehen zu müssen, schien ihr nicht zu behagen.
    »Dann schlaf bei uns«, sagte Benno, »das Bett ist riesig.«
    Auf die Idee, sich selbst in ihr Bett zu legen und sie alleine mit mehr Platz bei Daniel schlafen zu lassen, kam er nicht. Sie holte ihre Decke aus dem Zimmer, sie wollte zwischen ihm und Daniel liegen. »Da bin ich von beiden Seiten beschützt«, sagte sie.
    Benno fand das rührend und vertrauensvoll, drehte ihr den Rücken zu und hoffte, dass Daniels kleine Schnarcher sie beruhigen und nicht stören würden. Das schien zu funktionieren – irgendwann atmete sie ruhig und gleichmäßig. Aber er lag noch lange wach. In seinem Kopf dudelte die Siebenviertelfigur, und an seiner Haut spürte er die kitzlige Nähe zu Christines schlafendem Körper.
    —
    Er lernte einiges über Amerika und noch mehr über Countrymusic in den Wochen, die er mit der Summers-Family tourte, so nannte sich die Band auf den selbst geschriebenen Aushängen, mit denen sie ihre abendlichen Gigs in Cafés, Bars und Restaurants ankündigten.
    Es war das ländliche weiße Amerika, das er so entdeckte, nahezu jedermann schien absurd stolz darauf, Amerikaner zu sein, und bemüht, seinen Patriotismus bei jeder Gelegenheit hinauszutrompeten. Das war manchmal wie ein Wettbewerb, wer sein Land am meisten liebt und wer am stolzesten auf sich selbst, das Nest, in dem er lebt, den Traktor, den er fährt, die Acres, die er bewirtschaftet, und den Himmel über dem Ganzen ist. Benno fand sich tief im Bauch der Spießerwelt und wäre abgestoßen gewesen, wenn sie nur solche Sachen wie I’m Proud To Be An Okie From Muskogee oder ähnlichen Redneckbedarf gespielt hätten. Aber sie hatten auch Songs wie Me And Bobby McGee oder Carmelita im Repertoire, und die wurden seltsamerweise von den Stetsonträgern nicht abgelehnt, sondern mitgesungen. Anscheinend war Country jenseits aller Kommerz- und Plastik-Maskeraden noch immer lebendige Folklore. Zumindest auf dem Land. Und diese Musik brauchte Könner. Man konnte zwar auch mies spielen und damit durchkommen wie bei jeder Volksmusik, aber es schien bemerkt und geachtet zu werden, wenn man gut war. Manchmal hatten sie Gäste, die sich spontan mit ihrer Mandoline oder Geige oder sonst einem Instrument dazugesellten, und bei einigen erlebte Benno sein blaues Wunder. Er staunte nicht nur darüber, wie gut sie spielten, sondern auch, dass das Publikum dies oft registrierte und belohnte. Später in Nashville war das nicht mehr so, die Leute dort reagierten auf anderes: das Aussehen der Sänger, die Bekanntheit des Songs, vielleicht sogar den Ruhm der Stadt, aber hier auf dem Land war jeder zweite ein Experte. Hier wurde die Bauernmusik nicht nur von Bauern geschätzt, sondern manchmal auch noch von ihnen gemacht.
    Nicht nur das erstaunte Benno, es war auch die Entdeckung, dass er diese bisher verachtete Musik zu mögen begann, weil sie ihre eigene Tradition als Kern behielt, sich zumindest teilweise der Pop-Klangwelt entzog und sich trotzdem der Moderne stellte, denn die Texte erzählten vom jetzigen Leben jetziger Leute, nicht vom Viehtrieb in Texas, den Straßen von Laredo oder dem großen Oklahoma-Land-Rush.
    —
    Die Reiserei war gleichzeitig erhebend und öde. Benno fuhr seinen Camper hinter Walters her, manchmal mit Tish neben sich, manchmal allein, über kurvenlose Straßen, vorbei an Ortschaften, die als Wahrzeichen einen Wasserturm, eine alte Scheune oder auch mal einen schmalen Kirchturm hatten. Das Essen war oft fett, süß und ohne Biss, der Kaffee eine grauschwarze Brühe, mit der man Schränke hätte ablaugen können, und die Leute benahmen sich fröhlich und freundlich, aber immer eine Spur zu nett, als gäbe es irgendwo eine Kamera und am Jahresende Punkte für Betragen. Benno fühlte sich beschwindelt von

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