Aprilwetter
länger, als er vorgehabt hatte, in Nashville. Eine Zeit lang dachte er darüber nach, Gitarrenunterricht zu nehmen, aber er raffte sich nie auf, einen der Könner, die er spielen hörte, zu fragen. Die Technik war zu verschieden. Hier spielten fast alle auf Telecaster, halbakustischen Gretsch- oder manchmal auch Hagström-Gitarren, nur selten sah man eine Strat, und sie spielten alle mit Plektrum. Benno wollte seine eigene Technik mit Fingerpicks behalten. Erst viel später lernte er Flatpicking, als er mit einer Coverband tourte, die auf Hochzeiten, Stadtfesten und Geburtstagen spielte. Aber er studierte trotzdem, hörte zu, versuchte, ähnlich zu spielen, und übte stundenlang in seinem Camper. Es entstand eine Mischung. Das, was er mit Daniel gemacht hatte, war trotz der amerikanischen Zupftechnik eher europäisch gewesen, elegisch, romantisch und komplex, das, was er jetzt dazulernte, hatte seine Wurzeln in Blues, keltischer Folkmusik und osteuropäischen Tänzen.
Irgendwann klopfte es an seiner Tür, als er ein Stück von Chet Atkins zu spielen versuchte. Der Trailerpark war in dem Bereich, auf dem Bennos Camper stand, für Kurzparker reserviert. Weiter hinten standen die Wohnwagen aufgebockt, und die Besatzung war das, was man White Trash nennt, arme Leute, Underdogs, aber hier hatte man es mit Touristen, wohlhabenden Rentnern und Träumern zu tun, die ihre manchmal überdimensionalen Mobile Homes an Strom und Wasser anschlossen und ein paar Tage oder Wochen blieben.
Vor seiner Tür standen eine junge Frau in Jeans und T-Shirt und ein älterer, vielleicht fünfzigjähriger, zerknitterter Mann mit buschigen Koteletten und weißem Stetson. Ob er nicht mit einsteigen wolle, sie würden nachher in der Bar ein paar Songs spielen. Die junge Frau hieß Tish und der Mann, ihr Vater, hieß Walter. Sie wollten am nächsten Morgen weiter nach Norden und diesen Abend ein kleines Abschiedskonzert geben.
Sie hatten eins dieser lastwagengroßen Wohnmobile. Eine zweite Tochter, Nancy, stand in der Tür. Eine musizierende Familie. Walter spielte Kontrabass, Tish Geige, Mandoline und Akkordeon und Nancy akustische Gitarre und Autoharp. Die Reise war ein Geschenk seiner Töchter zu Walters fünfzigstem Geburtstag. Es war sein lebenslanger Traum gewesen, durchs Land zu ziehen und Musik zu machen, diesen Traum erfüllten sie ihm nun, nachdem ihre Mutter vor einiger Zeit gestorben war und er sich entschlossen hatte, seine Baustoffhandlung und das Haus zu verkaufen und mit dem Wohnwagen zu vagabundieren.
Sie sprachen die Songs durch, manche kannte Benno, andere spielten sie an und er merkte sich das Wesentliche. Countrymusic ist einfach und immer in Dur. So konnte er fast alles in offener Stimmung mitspielen, was er besonders liebte, weil es ihm kaskadenartige, fließende Figuren mit klingenden leeren Saiten ermöglichte. Sie waren schon beim Üben begeistert. Und sie waren ziemlich gut. Tishs Geige und Gesang elektrisierten Benno, und wenn Nancy mitsang, bekam er hin und wieder Gänsehaut.
Ihr Publikum abends war dann allerdings ein deprimierender Anblick. Ein Haufen verreister Spießer mit Cowboyhüten und ein paar brave, deprimierte Asoziale aus dem hinteren Teil des Parks, die sich an einem Tisch beim Eingang zusammendrängten. Aber sie mochten die Songs, die die Band spielte, und Tish und Nancy waren hübsch genug, um auch den bräsigsten Rotnacken zum Träumen zu bringen. Und das Ganze machte Benno erstaunlich viel Spaß. Das war so anders als das Musizieren, das er bisher gewohnt gewesen war, es war eine Entdeckung. Eine Offenbarung. Bedarfsmusik. Das reine, nackte, pragmatische Handwerk. Niemand hier gäbe einen Pfifferling für Kunst, für höhere Werte, Subtilitäten, es ging darum, die Songs zu hören, zu denen man sein Mädchen abgeschleppt, auf dem Rücksitz genommen und später geheiratet hat, und dabei den beiden Kälbchen Tish und Nancy auf die Blusen zu glotzen. Walter war glücklich. Und Tish und Nancy waren angetan von Benno. An diesem Abend entdeckte er zum ersten Mal seine Fähigkeit, die Sänger zu pushen. Und sie spürten es. Als sie Help Me Make It Through The Night spielten – es war die dritte Zugabe –, sah Benno, wie Tish ihn aus den Augenwinkeln beobachtete, und wusste, sie würde noch mal an seine Tür klopfen.
Das tat sie gegen zwei Uhr morgens. Sie trug einen gelben Frotteebademantel, war barfuß und hatte eine offene Flasche Weißwein in der Hand. Sie huschte geräuschlos herein und bat ihn,
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