Aprilwetter
das Licht auszulassen.
»Meine Schwester und ich haben gelost, wer zu dir geht«, sagte sie, als sie eine halbe Stunde später erschöpft auf seinem Bett lagen und die Flasche hin- und hergehen ließen.
»Warum hast du sie nicht mitgebracht?«, sagte er und fing sich eine Ohrfeige dafür ein. »Komm mit uns«, sagte sie fast gleichzeitig mit der Ohrfeige, »wir fahren noch den ganzen Sommer rum. Bis Nancy auf die Universität geht.«
»Gut«, sagte Benno, »dann seh ich was von Amerika.«
»Aber du lässt die Finger von Nancy.«
Er nahm noch einen Schluck. Der Wein war süß und lauwarm.
»Und mein Vater darf nichts von uns merken.«
—
Obwohl Daniel und Benno in dieser Stadt gewohnt, hin und wieder in der Zeitung gestanden und Konzerte gegeben haben, kennt ihn niemand mehr. Universitätsstädte haben eine starke Fluktuation – wer vor vierzehn Jahren hier den Anarchismus hochgehalten, die jeweils anderen linken Gruppen als Verräter bekämpft und sich als Systemüberwinder aufgespielt hat, zieht heute Zähne in Iserlohn, unterrichtet Immigrantenkinder in Lahr oder berät Regierungen in der dritten Welt. Nur die Versager bleiben. Und die Erben wie Daniel kommen irgendwann zurück.
Ein Gitarrist, der in drei Bands spielt, ein Songwriter, der sich mit Büroarbeiten über Wasser hält, und der Besitzer des Musikladens sind so etwa die Einzigen, die mit dem Namen »Tanner & Krantz« noch etwas anfangen könnten. Aber auch sie erkennen Benno nicht. Er hatte damals einen Vollbart und lange Haare, niemand, der ihn heute sieht, käme auf die Idee, ihn mit dem Neohippie von einst in Zusammenhang zu bringen. Das ist ihm recht. Tanner & Krantz sind Geschichte. Benno nennt sich Ben, ohne Nachnamen, niemand fragt ihn danach, wozu auch, man weiß, wo man ihn findet, er ist der Mann vom La Storia.
Heute ist der Teufel los. Das schöne Wetter treibt auch die Stubenhocker und Hausfrauen raus, und Benno kommt nicht zum Nachdenken vor lauter Arbeit. Er mag diesen Zustand, weil seine Gäste ihn auch mögen. Aus irgendeinem Grund wollen sie lieber schlecht in einem überfüllten Lokal bedient werden, als gut in einem nur locker besetzten. Sie sind besser gelaunt, obwohl sie zu lange warten müssen, dann manchmal das Falsche kriegen und die Tische nicht so blitzblank sind wie sonst. Dasselbe Gedränge in der Eisenbahn würde sie wahnsinnig machen – im Lokal finden sie’s gut.
Irgendwann am Nachmittag ist Christine kurz da, aber Benno ist so eingespannt, dass sie über ein paar Worte und ein Lächeln nicht hinauskommen. Er kriegt es nicht mal mit, als sie wieder geht.
Aber dann, später, kommt sie wieder mit einem Blumenstrauß, Tulpen und Narzissen in einer Vase, den sie ihm einfach auf die Theke stellt. Dann lächelt sie ihm zu, sagt: »Naturersatz«, und geht. Er freut sich den ganzen restlichen Nachmittag darüber. Souad beobachtet ihn versonnen, sicher überlegt sie, ob da was läuft mit dieser Frau, und Elsa schaut ein wenig verkniffen in ihre Zeitung.
»Danke«, sagt er abends nach dem Abschließen in die Sprechanlage und will in seine Wohnung gehen, was essen, Hemden bügeln und dann die Beine hochlegen, aber sie fragt, ob er kurz hochkommen könne.
Die Regale sind fast vollständig eingeräumt, es liegen Teppiche, ein ähnlicher Blumenstrauß wie unten steht auf dem Couchtisch, und an einer Wand hängen schon Bilder. An den anderen lehnen sie noch auf dem Boden und warten auf ihre Nägel. Es ist sieht nahezu fertig und perfekt aus.
»Hast du die Nacht durchgearbeitet?«, fragt er.
»Fast«, sagt sie, »gefällt’s dir?«
»Sehr.«
Sie geht in die Küche und kommt mit einer Flasche Sekt zurück. »Trinkst du ein Glas mit?«
»Saft oder Wasser.«
»Trinkst du nie?«
»Nein. Ich mag’s nicht.« Das ist die einfachere und weniger ehrenrührige Erklärung, die er sich, seit er wieder hier ist, angewöhnt hat. Dass Christine ihn damals hin und wieder mit einem Wein- oder Whiskyglas in der Hand gesehen hat, bedenkt er nicht, und sie gibt nicht zu erkennen, ob sie sich daran erinnert und vielleicht fragt, warum er damals Alkohol getrunken hat, den er jetzt nicht mehr zu mögen vorgibt.
Er stellt sich ans Fenster und schaut über die Dächer, da bahnt sich ein opulenter Sonnenuntergang an, und er überlegt, was er als Nächstes sagen könnte. Wann kommt Daniel? Wirst du Berlin vermissen? Fühlst du dich hier schon wieder heimisch? Alles Quark. Er weiß nichts.
Sie tritt neben ihn und legt ihren Arm um seine
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