Aprilwetter
Schulter. Es wird warm, da wo sie ihn berührt.
»Ich muss noch paar Sachen machen«, sagt er, und sie nimmt ihren Arm wieder weg. Er stellt das Glas ab und geht zur Tür. Sie kommt mit und küsst ihn auf den Mund. Ganz kurz. Seine Lippen sind warm, als er die Treppe hinuntergeht und seine Tür aufschließt. Sie sind warm, während er die Hemden bügelt, und sie sind noch immer warm, als er sich, viel später, schlafen legt.
—
Christine besuchte sie im Studio. Sie waren schon eine Woche zugange, hatten einen großen Teil des Materials bereits eingespielt, es fehlten noch zwei längere Stücke und die Overdubs einiger Gäste, die für die nächsten Tage eingeplant waren. Benno und Daniel hatten schon ihren Rhythmus komplett verdreht, schliefen bis zwei Uhr Nachmittags in der Gästewohnung oben, frühstückten bis vier und trudelten dann im Studio ein, wo sich Carlo, der das Faktotum spielte, Saiten aufzog, Stecker reparierte, Pizza holte und dem Tontechniker assistierte, schon »eingebracht« hatte, wie er das immer nannte. Sie mussten nur loslegen.
Als Christine ankam, waren sie mitten im ersten Take für ein Stück mit dem Titel Zirkelschluss , bei dem Benno eine Siebenviertelfigur über eine Vierviertelstruktur von Daniel spielte, bis sie einander trafen und von der gemeinsamen Eins weg in einen schwungvollen Walzer übergingen, aus dem Benno dann später wieder in die Siebenviertel fallen würde. Es lief gut. Es lief sogar noch besser, als sie auf einmal Christine hinter der Scheibe auftauchen sahen, so gut, dass sie gleich den ersten Take behielten. Das hatte es bisher noch nicht gegeben. Sie waren keine First-Take-Artisten. Sie waren Tüftler. Eher schnitten sie mehrere gute Passagen zusammen, als etwas Lauwarmes oder auch nur Braves zu behalten.
»Das hast du gut gemacht«, sagte Benno, als sie zu Christine in die Regie kamen.
»Was denn?«, fragte sie.
»Die Inspiration«, sagte er.
»Wie denn?«
»Ausstrahlung«, sagte Daniel.
Sie umarmten sich zur Begrüßung wie ein Ehepaar zu dritt. Carlo grinste breit und stellte sich vor. »Ach, du bist das«, sagte er mit vielsagendem Blick, sodass Christine sich vorkommen musste, als wäre die ganze Zeit über sie geredet worden. Es schien sie nicht zu stören, sie machte sogar den Eindruck, als gefalle es ihr.
Sie gingen direkt an die Overdubs, spielten auch die gemeinsam ein. Daniel legte Flageoletts auf markante Stellen, und Benno doppelte seinen Part hier und da mit einer speziell bespannten Gitarre – nur die Oktavsaiten einer Zwölfsaitigen, sodass es schien, als ginge er fließend von Sechssaitiger zu Zwölfsaitiger über. Es klang herrlich. Und sehr subtil. Und niemand würde es merken.
Nach einer Pause mit Kaffee, Zigaretten und albernem Geplänkel gingen sie an das letzte Stück, brauchten dafür allerdings drei Takes, was aber immer noch sehr wenig war für ihre Verhältnisse. Benno merkte, dass ihn Daniels Dominanzgebaren störte – es waren Kleinigkeiten. Einmal bestellte er einen anderen Kopfhörermix für Benno, anstatt ihm das selbst zu überlassen, ein andermal kriegte er seinen Einsatz nicht und schob die Schuld auf Benno – sein Auftakt war ihm zu träge. Kleinigkeiten. Unwichtige Kleinigkeiten, aber vor Christine wollte Benno nicht wie ein Mietmusiker dastehen. Es ärgerte ihn. Nein, es verletzte ihn.
Carlos Frau Sylvia hatte Pizza für alle geholt, die aßen sie lauwarm, und Christine begann zu gähnen. Es war kurz vor elf, und sie beschlossen, Schluss zu machen.
Über dem Studio gab es einen Gästetrakt mit drei Schlafzimmern, einem Aufenthaltsbereich und einer kleinen Küche. Dorthin verzogen sie sich, Benno und Daniel aufgekratzt und nervös, Carlo und Sylvia eilig und verliebt, und Christine schon fast schlafend.
Nachdem Benno ihr sein Bett frisch bezogen hatte, legte sie sich hin, und Daniel und Benno sahen sich noch ein Video an. Chasing Amy , eine Dreiecksgeschichte zwischen einer lesbischen Frau und zwei Comiczeichnern. Eigentlich hatten sie The Kids Are Alright von den Who ansehen wollen, aber das wäre zu laut gewesen. Das hoben sie sich auf, bis Christine entweder mitschauen würde oder abgereist wäre.
Benno schlief in Daniels Doppelbett.
»Sie ist nett«, sagte der vor dem Einschlafen, »hat gute Energie.«
»Wir sollten sie zum Urlaub einladen«, sagte Benno, »sie hat so wahnsinnig viel geholfen beim Umzug. Wir könnten uns bedanken.«
»Guter Plan.« Daniel klang schläfrig. Kurz danach schnarchte er leise
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