Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
nicht schön, aber wenigstens diffus. Halbwirklich. Er musste geschickt sein, denn es durfte nicht auffallen. Die Band war normalerweise vor dem Soundcheck zusammen im Hotel oder, wenn dafür Zeit war, in einem Café oder Diner, um eine Kleinigkeit zu essen. Benno begann, sich auf seinem Zimmer einzuigeln, wo er die Bourbonflasche aus dem Koffer nehmen und ein paar herzhafte Schlucke reinziehen konnte. Dabei blieb es aber nicht lange, es lief mehr und mehr auf eine halbe Flasche hinaus. Und das brauchte Zeit. Eine Viertelstunde mindestens.
    Eines hektischen Tages mit verspätetem Eintreffen am Auftrittsort und technischen Schwierigkeiten beim Soundcheck fuhr Benno unvorsichtigerweise dem unsympathischsten Sänger so ruppig übers Maul, als der sich über die seiner Meinung nach zu träge Gangart der Band beschwerte, weil es zur vorbereitenden Horizonterweichung nicht gereicht hatte, dass eine sehr ungute Stimmung entstand, die Benno nur notdürftig wieder entspannen konnte, indem er sich entschuldigte und klein beigab. Und beim Gig, vor dem er das Versäumte etwas zu großzügig nachgeholt hatte, verpatzte er dann jeden zweiten Einsatz. Die Band fing ihn auf, so gut es ging, versuchte zu kaschieren, was er verbockte, aber die Sänger merkten es und weigerten sich, noch einmal mit ihm zusammen auf die Bühne zu gehen. Der Tourmanager warf ihn raus, und Benno packte seine Sachen.
    Bei der Band entschuldigte er sich und bei einem der Sänger, den er mochte und dessen Set versaut zu haben, ihm wirklich leidtat. Den anderen, einem Zwillingspaar in Blond und Rosa, einer Art doppelter Dolly Parton, dem Unsympathen, einem Langweiler, der sich als Kopie von Mink de Ville kostümierte, und zwei weiteren Sängern, deren Gesichter er sich nicht einmal den Tag über merken konnte, zeigte er den Mittelfinger, nahm Gitarre und Reisetasche und ging zur Greyhound-Station. Den Verstärker und das Effektboard würde er nach Tourende bei Nick in Fort Worth abholen.
    Er nahm sich fest vor, in Zukunft tagsüber vor dem Spielen nicht mehr als drei Drinks zu nehmen, aber da er einstweilen kein Engagement hatte, war dies ein Plan für irgendwann, dessen Verwirklichung er nicht sofort in Angriff nehmen musste.
    Nachdem er drei Wochen später seine Sachen bei Nick geholt hatte, zog er wieder nach Nashville. Das Geld würde eine Weile reichen, und falls es eng werden sollte, konnte er immer noch den Camper verkaufen. Er hatte die Adresse von Nicks Exfrau, die in Nashville lebte, und versprochen, sich zu melden. Man wollte in Kontakt bleiben.
    Ob es daran lag, dass er sich auf einmal nicht mehr wie ein Reisender, sondern nutzlos und ausgemustert fühlte nach dem Rausschmiss bei der Label-Tour oder daran, dass er wochenlang in den Musikclubs herumhing und nur zuhören durfte, jedoch nicht mehr spielen, daran dass er mehr trank als je zuvor oder daran, dass er sich fremd fühlte, obwohl jeder nett zu ihm war – er bekam Heimweh, wie man es eigentlich nur als Kind kennt: jämmerlich, hundeelend, so schlimm, dass er einige Male nah dran war, das nächste Flugzeug zu besteigen. Er tat es nicht, weil er wusste, er würde dasselbe Heimweh auch in Deutschland haben, er gehörte nirgendwo mehr hin – ob er nun Englisch, Deutsch oder sonst eine Sprache aufschnappen würde, denn das Heimweh hatte er nach Christine, nach Daniel, nach der Musik, die sie gemacht hatten, die etwas wert gewesen war, nicht nur Geldverdienerei, die etwas bedeutet hatte für die Hörer, für ihn, für Daniel – diese Musik war Kunst gewesen, etwas Unverwechselbares und Sinnvolles, nicht dieser Pausenfüllerschrott, an dem er sich das letzte Jahr über krankgeleiert hatte, er selbst war unverwechselbar gewesen und wichtig –, jetzt war er nicht mal mehr der Inhalt seines eigenen Umrisses, nur noch eine leere Silhouette, so kam es ihm vor, er war niemand mehr, der Nowhere Man. Und es war kein gutes Gefühl.
    Wer nirgendwohin gehört soll auch nirgendwo bleiben, fand er und begann wieder zu reisen, nach Dallas, New Orleans, San Francisco, Seattle, Portland, Sedona, San Diego – er absolvierte ein Meilenpensum, das für ein ganzes Jahr gereicht hätte, in weniger als vier Monaten. Aber ohne Ziel zu reisen oder wenigstens die Hoffnung, sich irgendwo an irgendetwas oder jemanden anzuschließen, machte das Ganze irgendwann so eintönig und beliebig, dass er sich entschloss, nach Nashville zurückzufahren und Nicks Exfrau anzurufen. Vielleicht ergäbe sich wieder was, eine Band, in

Weitere Kostenlose Bücher