Aprilwetter
sein. Den ganzen Tag auf den Beinen und immer in einem Aufmerksamkeitsverhältnis zu den Gästen zu stehen, ist anstrengend, und normalerweise hat er sich bis irgendwann nach elf Uhr abends müde gespielt, aber jetzt kann davon keine Rede sein, er ist hellwach. Ob das an der Melodie liegt, die er noch immer im Kopf hört und in den Fingern spürt, oder am Wetter – draußen stürmen dramatische Wolken über den Himmel – oder an Christine, von der er nun nichts mehr hört, die er sich aber vorstellt, wie sie in der Badewanne liegt und träumt oder liest oder vor sich hinsummt – vielleicht seinen Walzer; sie wollte damit ja einschlafen –, er weiß nicht, woran es liegt, aber er kann auch nicht damit umgehen. Um diese Zeit wach zu sein, ist einfach nicht im Plan – er nimmt seine Jacke vom Haken und öffnet die Tür.
Das Telefon dudelt seine biedere kleine Mollmelodie, und er hängt die Jacke wieder auf. Er rechnet fest damit, Christines Stimme zu hören, die noch irgendetwas will, einen Schlummertrunk mit ihm, den Walzer noch mal hören, einen Vorschlag für Morgen machen oder nur gute Nacht sagen, aber es ist Daniel.
»Wo bist du?«, fragt Benno.
»Berlin. Ich kann auch so bald nicht kommen. Leider. Hier wird alles immer mehr. Ich will dich um was bitten.«
»Um was?«
»Erinnerst du dich an Meike? Die Frau in Nashville, die den Emmylou-Harris-Titel gesungen hat?«
»Ja.«
»Sie ist wieder hier. In Berlin. Ich will eine CD mit ihr machen. Ich finanzier alles vor und hol mir die Kohle hinterher von der Plattenfirma per Bandübernahmevertrag. Und ich will, dass du sie produzierst und mitspielst.«
»Wieso nicht du?«
»Erstens keine Zeit, die Firma lässt mir einfach keinen Spielraum, zweitens bist du besser und drittens …« Er unterbricht sich, aber Benno weiß, was er gesagt hätte: »Du kannst das Geld brauchen.« Schon wieder ein Almosen. Er spürt den Impuls, sofort Nein zu sagen, aber er schweigt, weil er gleichzeitig etwas wie Freude in sich entdeckt – die Aussicht, zu musizieren, ist auf einmal wieder verlockend.
»Hast du Lust?«
»Ich muss drüber nachdenken. Eigentlich ist das alles so weit weg und mir so wurscht, aber irgendwie … vielleicht doch. Gib mir Bedenkzeit, ja?«
»Okay.«
»Und wo willst du das aufnehmen, in Berlin?«
»Wär mir am liebsten«, sagt Daniel, »da könnte ich immer mal vorbeikommen, aber das sollst du entscheiden, du bist der Produzent, vielleicht wär’s gar nicht so gut, wenn ich mich einmische und dir reinquatsche. Und Carlo hat inzwischen ein Studio im Allgäu, das ist günstig, es hat Platz für alle zum Übernachten, du könntest zwischendrin mal heimfahren. Carlo ist, wie du weißt, ein klasse Toningenieur.«
»Morgen«, sagt Benno. »Eine Nacht zum Überschlafen brauch ich.«
»Okay.«
Noch immer ziehen diese riesigen Haufenwolken über den Himmel und geben eine pathetische Kulisse ab für Bennos Grübeln darüber, ob er wieder Musik machen will oder nicht, ob er das La Storia einfach so alleinlassen kann, ob er Valerio oder Souad zum Interimsgeschäftsführer machen soll, was er fühlt beim Gedanken, wieder mit der alten Band zu spielen. Denn das hat im ersten Augenblick schon für ihn festgestanden: Es müssen Warren, Stephen, Nick, Tyler und Dave sein.
Allerdings, das wird ihm jetzt erst klar, hat Daniel nichts darüber gesagt, um welche Art von Musik es sich handeln soll. Benno ist automatisch von Country ausgegangen, weil Meike in Nashville diesen Song gesungen hat, aber vielleicht will sie Pop oder Soul oder irgendwas sonst machen? Dann wäre er nicht dabei. Das steht fest.
Das Telefon dudelt wieder.
»Entschuldige, hab noch was vergessen«, sagt Daniel, »es geht um Country, wir denken an Covers, aber eher entlegene, unbekannte Preziosen, nicht grad so was wie Lucille oder Jolene . Meike würde das mit dir zusammen auswählen, und du sollst ein Honorar kriegen, zehntausend, dafür eine etwas kleinere Beteiligung am Verkauf, und ich geb dir meine Karre. Ich hab hier den Saab übrig, weil ich mir jetzt einen BMW hole. Dann kannst du hin- und herfahren, wie’s dir passt.«
»Gut«, sagt Benno, »morgen weiß ich’s«, und legt nach den Abschiedsfloskeln auf.
Jetzt kann er erst recht nicht schlafen.
—
Die musikalische Phrasendrescherei war irgendwann nur noch zu ertragen, indem Benno die allnächtliche Horizonterweichung vorverlegte und sich das Publikum, die Musik und vor allem einige der Sänger schöntrank. Oder vielleicht
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