Aprilwetter
dass er bleiben solle, wo er war. Das tat Benno nicht, er kletterte bis zu Daniel und verstand, wieso sich der wie ein Spanner versteckte. In der Bucht lagen Christine und der Gitarrist von gestern, der mit der Gibson, nicht der mit der Brille, auf einer roten Decke, zwar nicht nackt, aber in so liebevoller Ermattung umarmt, dass kein Zweifel daran bestand, sie hatten miteinander geschlafen. Daniel sackte zusammen.
»Weg hier«, flüsterte er, seine Stimme klang flach und beschädigt, er war blass und versuchte, so leise wie möglich den Rückweg anzutreten.
Unten am Strand stürmte er los und ging so schnell, dass Benno Mühe hatte, Schritt zu halten, er trat Löcher in den Boden, starrte vor sich hin und sagte irgendwann: »Das kann sie nicht machen.«
Ein paar Schritte weiter setzte er sich in den Sand, ließ sich einfach auf die einknickenden Knie sinken und erbrach sich.
Er blieb sitzen und sah erstaunt auf das, was da aus ihm herausgeschossen war, vielleicht noch bleicher als zuvor, teilnahmslos und wie abgeschaltet. Dann begann er zu weinen.
Benno versuchte, ihn auf die Beine zu ziehen, aber Daniel wehrte ab, machte sich schwer und sagte, von Schluchzern unterbrochen: »Lass mich, ich will allein sein.« Benno gab auf.
Ein paarmal drehte er sich noch um, unsicher, ob es in Ordnung war, Daniel zu gehorchen, oder ob er nicht doch bei ihm bleiben müsste, aber er ging weiter, bis zum Kasino, längst war Daniel nur noch ein kaum definierbarer schwarzer Fleck im Sand, etwas wie ein Müllsack oder Kleiderhaufen, ein vergessener Rucksack, ein Stück Treibholz oder Stein, und als Benno die Place Bellevue überquerte, merkte er, dass er selbst weinte, sein Gesicht war nass, und etwas wollte immer wieder vom Magen zur Stirnhöhle, die Nässe unter den Augen kühlte sich ab in einem Windhauch, und er ging wie eine Maschine zum Hotel.
—
»Ich fahr voraus« hatte er auf den Hotelnotizblock geschrieben, den Block, ohne das Blatt abzureißen, aufs Bett gelegt, neben den Zettel vom Nachmittag, nach seiner Tasche gegriffen und sich auf den Weg zum Bahnhof gemacht.
Alles, was jetzt kommen konnte, jede Möglichkeit, sich zu verhalten, Christine in die Augen zu sehen, ihr zu erklären, dass das wehtat, sowohl Daniel als auch ihm, Daniel in die Augen zu sehen und zu begreifen, dass er so erschüttert war, weil er Christine ebenso begehrte wie Benno, sich mit Daniel gemeinsam vor Christine hinzustellen und ihr die doppelte Eifersucht zu gestehen, all das war ausgeschlossen. Es war ausgeschlossen, diesen Aufruhr zu dritt zu verhandeln, und da Daniel sich nicht vom Fleck rühren wollte, musste eben Benno das Feld räumen.
Daniel würde dort sitzen bleiben, seinen Kotzfladen studieren und sich von Christine, die irgendwann an ihm vorbeikommen musste, auflesen lassen. Ob er ihr dann gestehen würde, dass er sie mit dem Dänenbubi gesehen hatte und dass er das nicht aushielt, oder ob er nur so tun würde, als sei er betrunken und ganz zufällig am Strand, das war egal – Christine würde wissen, was los war. Sie würde es spüren.
Als er im Zug saß, bis Bordeaux mit einem jungen Paar, das sich abwechselnd auf Französisch aus einem Taschenbuch vorlas, dann alleine im Abteil bis Clermont-Ferrand, begriff Benno, dass er mit seinem abrupten Entschluss, die beiden miteinander alleine zu lassen, auch die Entscheidung getroffen hatte, Christine mit Daniel zu verkuppeln. Er hatte Platz gemacht und Christine dadurch gezeigt, dass er kein Interesse an ihr hatte. Das musste sie so sehen. Daniel würde es so sehen, das stand fest. Die beiden würden entweder zerstritten und wortlos zu Hause auftauchen oder Hand in Hand als Paar.
In Clermont-Ferrand ging es nicht weiter. Der nächste Zug fuhr erst um sechs Uhr vierzig am nächsten Morgen. Benno setzte sich auf die Treppen vor dem Bahnhof, um zu warten. Er nahm sich kein Hotel. Er würde nicht schlafen.
—
Er versucht, leise zu sein, als er die Tür hinter sich ins Schloss zieht, denn er will Christine nicht auf sich aufmerksam machen. Allerdings hört sie vielleicht im Badezimmer weder seine Tür noch seine Schritte auf der Treppe.
Unten vor dem Café überlegt er eine Sekunde, ob er sich nicht einen Schluck Grappa auf den Weg mitgeben soll, aber er steckt nicht einmal die Hand in die Hosentasche, um nach dem Schlüssel zu greifen, sondern geht zügig die Gasse aufwärts Richtung Kirche, denn er will zum Fluss und dort auf die schmale Insel mit den Platanen, dort kann er ein
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